Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. ter noch waren; sie liebt ihre beiden Kinder überalles, und hat eben darum eine Art von Scham, in Gesellschaft die Mutter zu spielen, und die Kinder wie Dekorationen an sich zu hängen; die Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird von ihr still im Heiligthum eines entlegenen Zim- mers besorgt, und weil sie ordentlich ist, und weiß, was sie befiehlt, so darf sie die Kinder zu Zeiten dem gehorsamen Gesinde überlassen, und sie kann ruhig und heiter an der Gesellschaft Theil nehmen, weil sie die Stunde beobachtet; kurz, man nimmt an den allerliebsten Creaturen nur so viel Theil, als man selbst will, und ich, der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer gezwungen, sie aufzusuchen. Vortrefflich! sagte Ernst, dies beweist am Einleitung. ter noch waren; ſie liebt ihre beiden Kinder uͤberalles, und hat eben darum eine Art von Scham, in Geſellſchaft die Mutter zu ſpielen, und die Kinder wie Dekorationen an ſich zu haͤngen; die Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird von ihr ſtill im Heiligthum eines entlegenen Zim- mers beſorgt, und weil ſie ordentlich iſt, und weiß, was ſie befiehlt, ſo darf ſie die Kinder zu Zeiten dem gehorſamen Geſinde uͤberlaſſen, und ſie kann ruhig und heiter an der Geſellſchaft Theil nehmen, weil ſie die Stunde beobachtet; kurz, man nimmt an den allerliebſten Creaturen nur ſo viel Theil, als man ſelbſt will, und ich, der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer gezwungen, ſie aufzuſuchen. Vortrefflich! ſagte Ernſt, dies beweiſt am <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> ter noch waren; ſie liebt ihre beiden Kinder uͤber<lb/> alles, und hat eben darum eine Art von Scham,<lb/> in Geſellſchaft die Mutter zu ſpielen, und die<lb/> Kinder wie Dekorationen an ſich zu haͤngen; die<lb/> Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird<lb/> von ihr ſtill im Heiligthum eines entlegenen Zim-<lb/> mers beſorgt, und weil ſie ordentlich iſt, und<lb/> weiß, was ſie befiehlt, ſo darf ſie die Kinder<lb/> zu Zeiten dem gehorſamen Geſinde uͤberlaſſen, und<lb/> ſie kann ruhig und heiter an der Geſellſchaft<lb/> Theil nehmen, weil ſie die Stunde beobachtet;<lb/> kurz, man nimmt an den allerliebſten Creaturen<lb/> nur ſo viel Theil, als man ſelbſt will, und ich,<lb/> der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer<lb/> gezwungen, ſie aufzuſuchen.</p><lb/> <p>Vortrefflich! ſagte Ernſt, dies beweiſt am<lb/> meiſten fuͤr die Schwiegermutter, die die Toͤch-<lb/> ter ſehr gut und zur Ordnung muß erzogen haben.<lb/> In deiner Beſchreibung finde ich gerade die ehr-<lb/> wuͤrdigſten Muͤtter wieder, die ich je gekannt<lb/> habe. Alles Gute und Rechte ſoll nur ſo geſchehn,<lb/> daß es ein unachtſames Auge gar nicht gewahr<lb/> wird. Unſer Vaterland aber iſt das Land der<lb/> geraͤuſchvollſten Erziehung, und die Nation wird<lb/> bald nur aus Erziehern beſtehen; fuͤr Muͤtter und<lb/> Kinder ſind Bibliotheken, und hundert Journale<lb/> und Almanache geſchrieben, alle ihre Tugenden<lb/> und Pflichten hat man tauſendfaͤltig in Kupfer<lb/> geſtochen und zur groͤßern Aufmunterung illumi-<lb/> nirt, und aus dem Natuͤrlichſten und Einfach-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [43/0054]
Einleitung.
ter noch waren; ſie liebt ihre beiden Kinder uͤber
alles, und hat eben darum eine Art von Scham,
in Geſellſchaft die Mutter zu ſpielen, und die
Kinder wie Dekorationen an ſich zu haͤngen; die
Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird
von ihr ſtill im Heiligthum eines entlegenen Zim-
mers beſorgt, und weil ſie ordentlich iſt, und
weiß, was ſie befiehlt, ſo darf ſie die Kinder
zu Zeiten dem gehorſamen Geſinde uͤberlaſſen, und
ſie kann ruhig und heiter an der Geſellſchaft
Theil nehmen, weil ſie die Stunde beobachtet;
kurz, man nimmt an den allerliebſten Creaturen
nur ſo viel Theil, als man ſelbſt will, und ich,
der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer
gezwungen, ſie aufzuſuchen.
Vortrefflich! ſagte Ernſt, dies beweiſt am
meiſten fuͤr die Schwiegermutter, die die Toͤch-
ter ſehr gut und zur Ordnung muß erzogen haben.
In deiner Beſchreibung finde ich gerade die ehr-
wuͤrdigſten Muͤtter wieder, die ich je gekannt
habe. Alles Gute und Rechte ſoll nur ſo geſchehn,
daß es ein unachtſames Auge gar nicht gewahr
wird. Unſer Vaterland aber iſt das Land der
geraͤuſchvollſten Erziehung, und die Nation wird
bald nur aus Erziehern beſtehen; fuͤr Muͤtter und
Kinder ſind Bibliotheken, und hundert Journale
und Almanache geſchrieben, alle ihre Tugenden
und Pflichten hat man tauſendfaͤltig in Kupfer
geſtochen und zur groͤßern Aufmunterung illumi-
nirt, und aus dem Natuͤrlichſten und Einfach-
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