Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Rothkäppchen.
Erste Scene.
(Stube.)


Die Großmutter sitzt und liest.
Ist heute gar ein schöner Tag,
An dem man gern Gott dienen mag,
Das Wetter ist hell, scheint die Sonne herein,
Da muß das Herz andächtig seyn.
Ich höre von ferne das Geläute,
Es ist ein lieblicher Sonntag heute,
Vor dem Fenster die Bäume sich rauschend neigen,
Als wollten sie sich gottsfürchtig bezeigen.
Ich wohn allhier vom Dorf abseitig,
Sonst ging ich gern zur Kirche zeitig,
Doch ich bin alt, dazu krank gewesen,
Da thu ich im lieben Gesangbuch lesen,
Der Herr muß damit zufrieden sich geben,
Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. --

(gähnt und macht das Buch zu.)
Ach Gott! so geht es in der Welt!
Ja, ja, es ist recht schlimm bestellt.
Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen,
Da wird mich wohl klein Rothkäppchen besuchen.
Es geht die Thür oder es ist der Wind,
Ich glaube da kommt das kleine Kind.

Rothkaͤppchen.
Erſte Scene.
(Stube.)


Die Großmutter ſitzt und lieſt.
Iſt heute gar ein ſchoͤner Tag,
An dem man gern Gott dienen mag,
Das Wetter iſt hell, ſcheint die Sonne herein,
Da muß das Herz andaͤchtig ſeyn.
Ich hoͤre von ferne das Gelaͤute,
Es iſt ein lieblicher Sonntag heute,
Vor dem Fenſter die Baͤume ſich rauſchend neigen,
Als wollten ſie ſich gottsfuͤrchtig bezeigen.
Ich wohn allhier vom Dorf abſeitig,
Sonſt ging ich gern zur Kirche zeitig,
Doch ich bin alt, dazu krank geweſen,
Da thu ich im lieben Geſangbuch leſen,
Der Herr muß damit zufrieden ſich geben,
Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. —

(gaͤhnt und macht das Buch zu.)
Ach Gott! ſo geht es in der Welt!
Ja, ja, es iſt recht ſchlimm beſtellt.
Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen,
Da wird mich wohl klein Rothkaͤppchen beſuchen.
Es geht die Thuͤr oder es iſt der Wind,
Ich glaube da kommt das kleine Kind.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0490" n="479"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rothka&#x0364;ppchen</hi>.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Scene</hi>.</head><lb/>
            <stage>(Stube.)</stage><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <sp who="#GRANM">
              <speaker> <hi rendition="#g">Die Großmutter</hi> </speaker>
              <stage>&#x017F;itzt und lie&#x017F;t.</stage><lb/>
              <p><hi rendition="#in">I</hi>&#x017F;t heute gar ein &#x017F;cho&#x0364;ner Tag,<lb/>
An dem man gern Gott dienen mag,<lb/>
Das Wetter i&#x017F;t hell, &#x017F;cheint die Sonne herein,<lb/>
Da muß das Herz anda&#x0364;chtig &#x017F;eyn.<lb/>
Ich ho&#x0364;re von ferne das Gela&#x0364;ute,<lb/>
Es i&#x017F;t ein lieblicher Sonntag heute,<lb/>
Vor dem Fen&#x017F;ter die Ba&#x0364;ume &#x017F;ich rau&#x017F;chend neigen,<lb/>
Als wollten &#x017F;ie &#x017F;ich gottsfu&#x0364;rchtig bezeigen.<lb/>
Ich wohn allhier vom Dorf ab&#x017F;eitig,<lb/>
Son&#x017F;t ging ich gern zur Kirche zeitig,<lb/>
Doch ich bin alt, dazu krank gewe&#x017F;en,<lb/>
Da thu ich im lieben Ge&#x017F;angbuch le&#x017F;en,<lb/>
Der Herr muß damit zufrieden &#x017F;ich geben,<lb/>
Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. &#x2014;</p><lb/>
              <stage>(ga&#x0364;hnt und macht das Buch zu.)</stage><lb/>
              <p>Ach Gott! &#x017F;o geht es in der Welt!<lb/>
Ja, ja, es i&#x017F;t recht &#x017F;chlimm be&#x017F;tellt.<lb/>
Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen,<lb/>
Da wird mich wohl klein Rothka&#x0364;ppchen be&#x017F;uchen.<lb/>
Es geht die Thu&#x0364;r oder es i&#x017F;t der Wind,<lb/>
Ich glaube da kommt das kleine Kind.</p>
            </sp><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[479/0490] Rothkaͤppchen. Erſte Scene. (Stube.) Die Großmutter ſitzt und lieſt. Iſt heute gar ein ſchoͤner Tag, An dem man gern Gott dienen mag, Das Wetter iſt hell, ſcheint die Sonne herein, Da muß das Herz andaͤchtig ſeyn. Ich hoͤre von ferne das Gelaͤute, Es iſt ein lieblicher Sonntag heute, Vor dem Fenſter die Baͤume ſich rauſchend neigen, Als wollten ſie ſich gottsfuͤrchtig bezeigen. Ich wohn allhier vom Dorf abſeitig, Sonſt ging ich gern zur Kirche zeitig, Doch ich bin alt, dazu krank geweſen, Da thu ich im lieben Geſangbuch leſen, Der Herr muß damit zufrieden ſich geben, Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. — (gaͤhnt und macht das Buch zu.) Ach Gott! ſo geht es in der Welt! Ja, ja, es iſt recht ſchlimm beſtellt. Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen, Da wird mich wohl klein Rothkaͤppchen beſuchen. Es geht die Thuͤr oder es iſt der Wind, Ich glaube da kommt das kleine Kind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/490
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/490>, abgerufen am 22.11.2024.