Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war am folgenden Tage schon spät gewor-
den, und Emilie zweifelte, ob es noch Zeit seyn
würde, eine Vorlesung anzufangen. O meine
verehrte Freundinn, rief Lothar aus, soll denn
die Gesellschaft, die uns heut aufgehalten und
uns alle unruhig gemacht hat, auch auf meine
Regierung und unsre Unterhaltung so schlimmen
Einfluß äußern! Es wird gerade am besten seyn,
durch ein Gedicht, welches von keinem großen
Umfange ist, die Ruhe wieder zu finden, die
jene flatternden Fräulein uns entführt haben,
welche unermüdet aus einem Zimmer in das
andre, und vom Garten in den Saal und wie-
der aus dem Saal in den Garten zurück wogten,
um irgendwo Spaß und Zeitvertreib anzutreffen,
welche sich nirgend wollten erhaschen lassen.

Anton zog ein Büchelchen aus der Tasche,
indem er sagte: ich muß wieder der erste seyn,
der voran geschickt wird, um meinen Freunden
die Bahn zu brechen, damit sie nachher ihre
Verirrungen mit meinem Beispiel entschuldigen
können. Unser Zeitalter ist durchaus dramatisch,
und um den allerfrühesten Forderungen des Her-
zens zu genügen, habe ich den Versuch gemacht,
ein Mährchen von der höchsten Albernheit, mit
welchem die Wärterinnen fast zuerst die Kinder zu
fürchten machen, in einer Tragödie darzustellen.



Es war am folgenden Tage ſchon ſpaͤt gewor-
den, und Emilie zweifelte, ob es noch Zeit ſeyn
wuͤrde, eine Vorleſung anzufangen. O meine
verehrte Freundinn, rief Lothar aus, ſoll denn
die Geſellſchaft, die uns heut aufgehalten und
uns alle unruhig gemacht hat, auch auf meine
Regierung und unſre Unterhaltung ſo ſchlimmen
Einfluß aͤußern! Es wird gerade am beſten ſeyn,
durch ein Gedicht, welches von keinem großen
Umfange iſt, die Ruhe wieder zu finden, die
jene flatternden Fraͤulein uns entfuͤhrt haben,
welche unermuͤdet aus einem Zimmer in das
andre, und vom Garten in den Saal und wie-
der aus dem Saal in den Garten zuruͤck wogten,
um irgendwo Spaß und Zeitvertreib anzutreffen,
welche ſich nirgend wollten erhaſchen laſſen.

Anton zog ein Buͤchelchen aus der Taſche,
indem er ſagte: ich muß wieder der erſte ſeyn,
der voran geſchickt wird, um meinen Freunden
die Bahn zu brechen, damit ſie nachher ihre
Verirrungen mit meinem Beiſpiel entſchuldigen
koͤnnen. Unſer Zeitalter iſt durchaus dramatiſch,
und um den allerfruͤheſten Forderungen des Her-
zens zu genuͤgen, habe ich den Verſuch gemacht,
ein Maͤhrchen von der hoͤchſten Albernheit, mit
welchem die Waͤrterinnen faſt zuerſt die Kinder zu
fuͤrchten machen, in einer Tragoͤdie darzuſtellen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0488" n="[477]"/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war am folgenden Tage &#x017F;chon &#x017F;pa&#x0364;t gewor-<lb/>
den, und Emilie zweifelte, ob es noch Zeit &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde, eine Vorle&#x017F;ung anzufangen. O meine<lb/>
verehrte Freundinn, rief Lothar aus, &#x017F;oll denn<lb/>
die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die uns heut aufgehalten und<lb/>
uns alle unruhig gemacht hat, auch auf meine<lb/>
Regierung und un&#x017F;re Unterhaltung &#x017F;o &#x017F;chlimmen<lb/>
Einfluß a&#x0364;ußern! Es wird gerade am be&#x017F;ten &#x017F;eyn,<lb/>
durch ein Gedicht, welches von keinem großen<lb/>
Umfange i&#x017F;t, die Ruhe wieder zu finden, die<lb/>
jene flatternden Fra&#x0364;ulein uns entfu&#x0364;hrt haben,<lb/>
welche unermu&#x0364;det aus einem Zimmer in das<lb/>
andre, und vom Garten in den Saal und wie-<lb/>
der aus dem Saal in den Garten zuru&#x0364;ck wogten,<lb/>
um irgendwo Spaß und Zeitvertreib anzutreffen,<lb/>
welche &#x017F;ich nirgend wollten erha&#x017F;chen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Anton zog ein Bu&#x0364;chelchen aus der Ta&#x017F;che,<lb/>
indem er &#x017F;agte: ich muß wieder der er&#x017F;te &#x017F;eyn,<lb/>
der voran ge&#x017F;chickt wird, um meinen Freunden<lb/>
die Bahn zu brechen, damit &#x017F;ie nachher ihre<lb/>
Verirrungen mit meinem Bei&#x017F;piel ent&#x017F;chuldigen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Un&#x017F;er Zeitalter i&#x017F;t durchaus dramati&#x017F;ch,<lb/>
und um den allerfru&#x0364;he&#x017F;ten Forderungen des Her-<lb/>
zens zu genu&#x0364;gen, habe ich den Ver&#x017F;uch gemacht,<lb/>
ein Ma&#x0364;hrchen von der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Albernheit, mit<lb/>
welchem die Wa&#x0364;rterinnen fa&#x017F;t zuer&#x017F;t die Kinder zu<lb/>
fu&#x0364;rchten machen, in einer Trago&#x0364;die darzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[477]/0488] Es war am folgenden Tage ſchon ſpaͤt gewor- den, und Emilie zweifelte, ob es noch Zeit ſeyn wuͤrde, eine Vorleſung anzufangen. O meine verehrte Freundinn, rief Lothar aus, ſoll denn die Geſellſchaft, die uns heut aufgehalten und uns alle unruhig gemacht hat, auch auf meine Regierung und unſre Unterhaltung ſo ſchlimmen Einfluß aͤußern! Es wird gerade am beſten ſeyn, durch ein Gedicht, welches von keinem großen Umfange iſt, die Ruhe wieder zu finden, die jene flatternden Fraͤulein uns entfuͤhrt haben, welche unermuͤdet aus einem Zimmer in das andre, und vom Garten in den Saal und wie- der aus dem Saal in den Garten zuruͤck wogten, um irgendwo Spaß und Zeitvertreib anzutreffen, welche ſich nirgend wollten erhaſchen laſſen. Anton zog ein Buͤchelchen aus der Taſche, indem er ſagte: ich muß wieder der erſte ſeyn, der voran geſchickt wird, um meinen Freunden die Bahn zu brechen, damit ſie nachher ihre Verirrungen mit meinem Beiſpiel entſchuldigen koͤnnen. Unſer Zeitalter iſt durchaus dramatiſch, und um den allerfruͤheſten Forderungen des Her- zens zu genuͤgen, habe ich den Verſuch gemacht, ein Maͤhrchen von der hoͤchſten Albernheit, mit welchem die Waͤrterinnen faſt zuerſt die Kinder zu fuͤrchten machen, in einer Tragoͤdie darzuſtellen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/488
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. [477]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/488>, abgerufen am 25.11.2024.