wir Frauen nicht so an das Verschlingen der Bücher gewöhnt sind, wie die Männer.
Auch dieses ist gewährt, sagte Lothar, ich werde mit meinen Räthen eine billige und zweck- mäßige Einrichtung treffen, besonders bei diesen Dramen, von denen einige länger ausfallen dürf- ten, als die meisten der heutigen Erzählungen.
Gute Nacht, sagte Manfred, ich bin so müde, und durch Beifall so wenig aufgemun- tert, daß ich am besten thun werde, mich in die Dunkelheit meines Bettes zurück zu ziehn.
Als er sich entfernt hatte, sprach man noch über die seltsame Erscheinung, daß im Schreck- lichen eine gewisse Lieblichkeit wohnen könne, die dem Reiz des Grauenhaften eine Art von Rüh- rung und Wehmuth beigeselle. Die letzte der heutigen Erzählungen, sagte Emilie, hat zwar nichts Furchtbares, kommt man aber darin über- ein, wie doch die meisten Menschen zu glauben scheinen, daß die Liebe die Blüte des Lebens sey, so ist sie vielleicht die traurigste und rüh- rendste von allen, weil die erzählte Begebenheit fast durchaus möglich ist und sich an das All- tägliche knüpft.
Anton bemerkte, daß die stille Lieblichkeit an sich leicht ermüde und einschläfre, wie die meisten neueren Idyllen, und daß man ihnen wohl einen Zusatz wünschen müsse, entweder von Schreck, oder Bosheit, oder irgend einem an- dern Ingrediens, um durch diese Würze den Ge-
Erſte Abtheilung.
wir Frauen nicht ſo an das Verſchlingen der Buͤcher gewoͤhnt ſind, wie die Maͤnner.
Auch dieſes iſt gewaͤhrt, ſagte Lothar, ich werde mit meinen Raͤthen eine billige und zweck- maͤßige Einrichtung treffen, beſonders bei dieſen Dramen, von denen einige laͤnger ausfallen duͤrf- ten, als die meiſten der heutigen Erzaͤhlungen.
Gute Nacht, ſagte Manfred, ich bin ſo muͤde, und durch Beifall ſo wenig aufgemun- tert, daß ich am beſten thun werde, mich in die Dunkelheit meines Bettes zuruͤck zu ziehn.
Als er ſich entfernt hatte, ſprach man noch uͤber die ſeltſame Erſcheinung, daß im Schreck- lichen eine gewiſſe Lieblichkeit wohnen koͤnne, die dem Reiz des Grauenhaften eine Art von Ruͤh- rung und Wehmuth beigeſelle. Die letzte der heutigen Erzaͤhlungen, ſagte Emilie, hat zwar nichts Furchtbares, kommt man aber darin uͤber- ein, wie doch die meiſten Menſchen zu glauben ſcheinen, daß die Liebe die Bluͤte des Lebens ſey, ſo iſt ſie vielleicht die traurigſte und ruͤh- rendſte von allen, weil die erzaͤhlte Begebenheit faſt durchaus moͤglich iſt und ſich an das All- taͤgliche knuͤpft.
Anton bemerkte, daß die ſtille Lieblichkeit an ſich leicht ermuͤde und einſchlaͤfre, wie die meiſten neueren Idyllen, und daß man ihnen wohl einen Zuſatz wuͤnſchen muͤſſe, entweder von Schreck, oder Bosheit, oder irgend einem an- dern Ingrediens, um durch dieſe Wuͤrze den Ge-
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Erſte Abtheilung.
wir Frauen nicht ſo an das Verſchlingen der
Buͤcher gewoͤhnt ſind, wie die Maͤnner.
Auch dieſes iſt gewaͤhrt, ſagte Lothar, ich
werde mit meinen Raͤthen eine billige und zweck-
maͤßige Einrichtung treffen, beſonders bei dieſen
Dramen, von denen einige laͤnger ausfallen duͤrf-
ten, als die meiſten der heutigen Erzaͤhlungen.
Gute Nacht, ſagte Manfred, ich bin ſo
muͤde, und durch Beifall ſo wenig aufgemun-
tert, daß ich am beſten thun werde, mich in die
Dunkelheit meines Bettes zuruͤck zu ziehn.
Als er ſich entfernt hatte, ſprach man noch
uͤber die ſeltſame Erſcheinung, daß im Schreck-
lichen eine gewiſſe Lieblichkeit wohnen koͤnne, die
dem Reiz des Grauenhaften eine Art von Ruͤh-
rung und Wehmuth beigeſelle. Die letzte der
heutigen Erzaͤhlungen, ſagte Emilie, hat zwar
nichts Furchtbares, kommt man aber darin uͤber-
ein, wie doch die meiſten Menſchen zu glauben
ſcheinen, daß die Liebe die Bluͤte des Lebens
ſey, ſo iſt ſie vielleicht die traurigſte und ruͤh-
rendſte von allen, weil die erzaͤhlte Begebenheit
faſt durchaus moͤglich iſt und ſich an das All-
taͤgliche knuͤpft.
Anton bemerkte, daß die ſtille Lieblichkeit
an ſich leicht ermuͤde und einſchlaͤfre, wie die
meiſten neueren Idyllen, und daß man ihnen
wohl einen Zuſatz wuͤnſchen muͤſſe, entweder von
Schreck, oder Bosheit, oder irgend einem an-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/469>, abgerufen am 22.11.2024.
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