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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Wesen in andächtigen Gebeten dahin blutete; je-
des Wort des Priesters durchschauerte ihn, jeder
Ton der Musik goß Andacht in seinen Busen;
seine Lippen bebten, als die Schöne das Crucifix
ihres Rosenkranzes an den brünstigen rothen Mund
drückte. Wie hatte er ehemals diesen Glauben und
diese Liebe so gar nicht begreifen können. Da er-
hob der Priester die Hostie und die Glocke schallte,
sie neigte sich demüthiger und bekreuzte ihre Brust;
und wie ein Blitz schlug es durch alle seine Kräfte
und Gefühle, und das Altarbild dünkte ihm leben-
dig und die farbige Dämmerung der Fenster wie
ein Licht des Paradieses; Thränen strömten reich-
lich aus seinen Augen und linderten die verzehrende
Inbrunst seines Herzens.

Der Gottesdienst war geendigt. Er bot ihr
wieder den Weihbrunnen, sie sprachen einige Worte
und sie entfernte sich. Er blieb zurück, um keine
Aufmerksamkeit zu erregen; er sah ihr nach, bis
der Saum ihres Kleides um die Ecke verschwand.
Da war ihm wie dem müden verirrten Wande-
rer, dem im dichten Walde der letzte Schein der
untergehenden Sonne erlischt. Er erwachte aus
seiner Träumerei, als ihm eine alte dürre Hand
auf die Schulter schlug, und ihn jemand bei Na-
men nannte.

Er fuhr zurück, und erkannte seinen Freund,
den mürrischen Albert, der von allen Menschen
sich zurück zog und dessen einsames Haus nur dem
jungen Ferdinand geöffnet war. Seid ihr unsrer
Abrede noch eingedenk? fragte die heisere Stimme.

Erſte Abtheilung.
Weſen in andaͤchtigen Gebeten dahin blutete; je-
des Wort des Prieſters durchſchauerte ihn, jeder
Ton der Muſik goß Andacht in ſeinen Buſen;
ſeine Lippen bebten, als die Schoͤne das Crucifix
ihres Roſenkranzes an den bruͤnſtigen rothen Mund
druͤckte. Wie hatte er ehemals dieſen Glauben und
dieſe Liebe ſo gar nicht begreifen koͤnnen. Da er-
hob der Prieſter die Hoſtie und die Glocke ſchallte,
ſie neigte ſich demuͤthiger und bekreuzte ihre Bruſt;
und wie ein Blitz ſchlug es durch alle ſeine Kraͤfte
und Gefuͤhle, und das Altarbild duͤnkte ihm leben-
dig und die farbige Daͤmmerung der Fenſter wie
ein Licht des Paradieſes; Thraͤnen ſtroͤmten reich-
lich aus ſeinen Augen und linderten die verzehrende
Inbrunſt ſeines Herzens.

Der Gottesdienſt war geendigt. Er bot ihr
wieder den Weihbrunnen, ſie ſprachen einige Worte
und ſie entfernte ſich. Er blieb zuruͤck, um keine
Aufmerkſamkeit zu erregen; er ſah ihr nach, bis
der Saum ihres Kleides um die Ecke verſchwand.
Da war ihm wie dem muͤden verirrten Wande-
rer, dem im dichten Walde der letzte Schein der
untergehenden Sonne erliſcht. Er erwachte aus
ſeiner Traͤumerei, als ihm eine alte duͤrre Hand
auf die Schulter ſchlug, und ihn jemand bei Na-
men nannte.

Er fuhr zuruͤck, und erkannte ſeinen Freund,
den muͤrriſchen Albert, der von allen Menſchen
ſich zuruͤck zog und deſſen einſames Haus nur dem
jungen Ferdinand geoͤffnet war. Seid ihr unſrer
Abrede noch eingedenk? fragte die heiſere Stimme.

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[434/0445] Erſte Abtheilung. Weſen in andaͤchtigen Gebeten dahin blutete; je- des Wort des Prieſters durchſchauerte ihn, jeder Ton der Muſik goß Andacht in ſeinen Buſen; ſeine Lippen bebten, als die Schoͤne das Crucifix ihres Roſenkranzes an den bruͤnſtigen rothen Mund druͤckte. Wie hatte er ehemals dieſen Glauben und dieſe Liebe ſo gar nicht begreifen koͤnnen. Da er- hob der Prieſter die Hoſtie und die Glocke ſchallte, ſie neigte ſich demuͤthiger und bekreuzte ihre Bruſt; und wie ein Blitz ſchlug es durch alle ſeine Kraͤfte und Gefuͤhle, und das Altarbild duͤnkte ihm leben- dig und die farbige Daͤmmerung der Fenſter wie ein Licht des Paradieſes; Thraͤnen ſtroͤmten reich- lich aus ſeinen Augen und linderten die verzehrende Inbrunſt ſeines Herzens. Der Gottesdienſt war geendigt. Er bot ihr wieder den Weihbrunnen, ſie ſprachen einige Worte und ſie entfernte ſich. Er blieb zuruͤck, um keine Aufmerkſamkeit zu erregen; er ſah ihr nach, bis der Saum ihres Kleides um die Ecke verſchwand. Da war ihm wie dem muͤden verirrten Wande- rer, dem im dichten Walde der letzte Schein der untergehenden Sonne erliſcht. Er erwachte aus ſeiner Traͤumerei, als ihm eine alte duͤrre Hand auf die Schulter ſchlug, und ihn jemand bei Na- men nannte. Er fuhr zuruͤck, und erkannte ſeinen Freund, den muͤrriſchen Albert, der von allen Menſchen ſich zuruͤck zog und deſſen einſames Haus nur dem jungen Ferdinand geoͤffnet war. Seid ihr unſrer Abrede noch eingedenk? fragte die heiſere Stimme.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/445>, abgerufen am 25.11.2024.