Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
der Müßiggang nie aufhören? Darauf wandte er
sich wieder an sein Geschäft und ließ die Gold-
stücke wägen und aussuchen; andre Zwerge schickte
er fort, manchen schalt er zornig. Wer ist der
Herr? fragte Maria; unser Metallfürst, sagte
die Kleine, indem sie weiter gingen.

Sie schienen sich wieder im Freien zu befin-
den, denn sie standen an einem großen Teiche,
aber doch schien keine Sonne, und sie sahen keinen
Himmel über sich. Ein kleiner Nachen empfing sie,
und Zerina ruderte sehr ämsig. Die Fahrt ging
schnell. Als sie in die Mitte des Teiches gekom-
men waren, sah Marie, daß tausend Röhren, Ca-
näle und Bäche sich aus dem kleinen See nach al-
len Richtungen verbreiteten. Diese Wasser rechts,
sagte das glänzende Kind, fließen unter euren Gar-
ten hinab, davon blüht dort alles so frisch; von
hier kömmt man in den großen Strom hinunter.
Plötzlich kamen aus allen Canälen und aus dem See
unendlich viele Kinder auftauchend angeschwommen,
viele trugen Kränze von Schilf und Wasserlilien,
andre hielten rothe Carallenzacken, und wieder an-
dre bliesen auf krummen Muscheln; ein verworre-
nes Getöse schallte lustig von den dunkeln Ufern
wieder; zwischen den Kleinen bewegten sich schwim-
mend die schönsten Frauen, und oft sprangen viele
Kinder zu der einen oder der andern, und hingen
ihnen mit Küssen um Hals und Nacken. Alle be-
grüßten die Fremde; zwischen diesem Getümmel
hindurch fuhren sie aus dem See in einen kleinen
Fluß hinein, der immer enger und enger ward.

Erſte Abtheilung.
der Muͤßiggang nie aufhoͤren? Darauf wandte er
ſich wieder an ſein Geſchaͤft und ließ die Gold-
ſtuͤcke waͤgen und ausſuchen; andre Zwerge ſchickte
er fort, manchen ſchalt er zornig. Wer iſt der
Herr? fragte Maria; unſer Metallfuͤrſt, ſagte
die Kleine, indem ſie weiter gingen.

Sie ſchienen ſich wieder im Freien zu befin-
den, denn ſie ſtanden an einem großen Teiche,
aber doch ſchien keine Sonne, und ſie ſahen keinen
Himmel uͤber ſich. Ein kleiner Nachen empfing ſie,
und Zerina ruderte ſehr aͤmſig. Die Fahrt ging
ſchnell. Als ſie in die Mitte des Teiches gekom-
men waren, ſah Marie, daß tauſend Roͤhren, Ca-
naͤle und Baͤche ſich aus dem kleinen See nach al-
len Richtungen verbreiteten. Dieſe Waſſer rechts,
ſagte das glaͤnzende Kind, fließen unter euren Gar-
ten hinab, davon bluͤht dort alles ſo friſch; von
hier koͤmmt man in den großen Strom hinunter.
Ploͤtzlich kamen aus allen Canaͤlen und aus dem See
unendlich viele Kinder auftauchend angeſchwommen,
viele trugen Kraͤnze von Schilf und Waſſerlilien,
andre hielten rothe Carallenzacken, und wieder an-
dre blieſen auf krummen Muſcheln; ein verworre-
nes Getoͤſe ſchallte luſtig von den dunkeln Ufern
wieder; zwiſchen den Kleinen bewegten ſich ſchwim-
mend die ſchoͤnſten Frauen, und oft ſprangen viele
Kinder zu der einen oder der andern, und hingen
ihnen mit Kuͤſſen um Hals und Nacken. Alle be-
gruͤßten die Fremde; zwiſchen dieſem Getuͤmmel
hindurch fuhren ſie aus dem See in einen kleinen
Fluß hinein, der immer enger und enger ward.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0421" n="410"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
der Mu&#x0364;ßiggang nie aufho&#x0364;ren? Darauf wandte er<lb/>
&#x017F;ich wieder an &#x017F;ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft und ließ die Gold-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cke wa&#x0364;gen und aus&#x017F;uchen; andre Zwerge &#x017F;chickte<lb/>
er fort, manchen &#x017F;chalt er zornig. Wer i&#x017F;t der<lb/>
Herr? fragte Maria; un&#x017F;er Metallfu&#x0364;r&#x017F;t, &#x017F;agte<lb/>
die Kleine, indem &#x017F;ie weiter gingen.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chienen &#x017F;ich wieder im Freien zu befin-<lb/>
den, denn &#x017F;ie &#x017F;tanden an einem großen Teiche,<lb/>
aber doch &#x017F;chien keine Sonne, und &#x017F;ie &#x017F;ahen keinen<lb/>
Himmel u&#x0364;ber &#x017F;ich. Ein kleiner Nachen empfing &#x017F;ie,<lb/>
und Zerina ruderte &#x017F;ehr a&#x0364;m&#x017F;ig. Die Fahrt ging<lb/>
&#x017F;chnell. Als &#x017F;ie in die Mitte des Teiches gekom-<lb/>
men waren, &#x017F;ah Marie, daß tau&#x017F;end Ro&#x0364;hren, Ca-<lb/>
na&#x0364;le und Ba&#x0364;che &#x017F;ich aus dem kleinen See nach al-<lb/>
len Richtungen verbreiteten. Die&#x017F;e Wa&#x017F;&#x017F;er rechts,<lb/>
&#x017F;agte das gla&#x0364;nzende Kind, fließen unter euren Gar-<lb/>
ten hinab, davon blu&#x0364;ht dort alles &#x017F;o fri&#x017F;ch; von<lb/>
hier ko&#x0364;mmt man in den großen Strom hinunter.<lb/>
Plo&#x0364;tzlich kamen aus allen Cana&#x0364;len und aus dem See<lb/>
unendlich viele Kinder auftauchend ange&#x017F;chwommen,<lb/>
viele trugen Kra&#x0364;nze von Schilf und Wa&#x017F;&#x017F;erlilien,<lb/>
andre hielten rothe Carallenzacken, und wieder an-<lb/>
dre blie&#x017F;en auf krummen Mu&#x017F;cheln; ein verworre-<lb/>
nes Geto&#x0364;&#x017F;e &#x017F;challte lu&#x017F;tig von den dunkeln Ufern<lb/>
wieder; zwi&#x017F;chen den Kleinen bewegten &#x017F;ich &#x017F;chwim-<lb/>
mend die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Frauen, und oft &#x017F;prangen viele<lb/>
Kinder zu der einen oder der andern, und hingen<lb/>
ihnen mit Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en um Hals und Nacken. Alle be-<lb/>
gru&#x0364;ßten die Fremde; zwi&#x017F;chen die&#x017F;em Getu&#x0364;mmel<lb/>
hindurch fuhren &#x017F;ie aus dem See in einen kleinen<lb/>
Fluß hinein, der immer enger und enger ward.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0421] Erſte Abtheilung. der Muͤßiggang nie aufhoͤren? Darauf wandte er ſich wieder an ſein Geſchaͤft und ließ die Gold- ſtuͤcke waͤgen und ausſuchen; andre Zwerge ſchickte er fort, manchen ſchalt er zornig. Wer iſt der Herr? fragte Maria; unſer Metallfuͤrſt, ſagte die Kleine, indem ſie weiter gingen. Sie ſchienen ſich wieder im Freien zu befin- den, denn ſie ſtanden an einem großen Teiche, aber doch ſchien keine Sonne, und ſie ſahen keinen Himmel uͤber ſich. Ein kleiner Nachen empfing ſie, und Zerina ruderte ſehr aͤmſig. Die Fahrt ging ſchnell. Als ſie in die Mitte des Teiches gekom- men waren, ſah Marie, daß tauſend Roͤhren, Ca- naͤle und Baͤche ſich aus dem kleinen See nach al- len Richtungen verbreiteten. Dieſe Waſſer rechts, ſagte das glaͤnzende Kind, fließen unter euren Gar- ten hinab, davon bluͤht dort alles ſo friſch; von hier koͤmmt man in den großen Strom hinunter. Ploͤtzlich kamen aus allen Canaͤlen und aus dem See unendlich viele Kinder auftauchend angeſchwommen, viele trugen Kraͤnze von Schilf und Waſſerlilien, andre hielten rothe Carallenzacken, und wieder an- dre blieſen auf krummen Muſcheln; ein verworre- nes Getoͤſe ſchallte luſtig von den dunkeln Ufern wieder; zwiſchen den Kleinen bewegten ſich ſchwim- mend die ſchoͤnſten Frauen, und oft ſprangen viele Kinder zu der einen oder der andern, und hingen ihnen mit Kuͤſſen um Hals und Nacken. Alle be- gruͤßten die Fremde; zwiſchen dieſem Getuͤmmel hindurch fuhren ſie aus dem See in einen kleinen Fluß hinein, der immer enger und enger ward.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/421
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/421>, abgerufen am 22.11.2024.