wie Schnee vor der Frühlingssonne hinweg ge- schmolzen, und ihr Lebenslauf lag grün und er- frischt vor ihr, so weit nur ihr Auge reichte. Sie ging in die Hütte zurück, und gab sich noch nicht zu erkennen.
Nach zweien Tagen war Peter wieder ganz zu Kräften gekommen. Er saß mit Magelonen, ohne daß er sie kannte, vor der Thür der Hütte. Bie- nen und Schmetterlinge schwärmten um sie, und Peter faßte ein Zutrauen zu seiner Verpflegerin, so daß er ihr seine Geschichte und sein ganzes Un- glück erzählte. Magelone stand plötzlich auf und ging in ihre Kammer, da löste sie ihre goldenen Locken auf, und machte sie von den Banden frei, die sie bisher gehalten hatten, dann zog sie ihre köstliche Kleidung an, die sie eingeschlossen hielt, und so kam sie plötzlich wieder vor die Augen Pe- ters. Er war vor Erstaunen außer sich, er um- armte die wiedergefundene Geliebte, dann erzähl- ten sie sich ihre Geschichte wieder, und weinten und küßten sich, so daß man hätte ungewiß seyn sollen, ob sie vor Jammer oder übergroßer Freude so herz- brechend schluchzten. So verging ihnen der Tag.
Dann reiste Peter mit Magelonen zu seinen Eltern, sie wurden vermählt, und alles war in der größten Freude; auch der König von Neapel ver- söhnte sich mit seinem neuen Sohne, und war mit der Heirath wohl zufrieden.
Auf dem Orte, wo Peter seine Magelone wieder gefunden hatte, ließ er einen prächtigen Sommerpallast bauen, und setzte den Schäfer zum
Die ſchoͤne Magelone.
wie Schnee vor der Fruͤhlingsſonne hinweg ge- ſchmolzen, und ihr Lebenslauf lag gruͤn und er- friſcht vor ihr, ſo weit nur ihr Auge reichte. Sie ging in die Huͤtte zuruͤck, und gab ſich noch nicht zu erkennen.
Nach zweien Tagen war Peter wieder ganz zu Kraͤften gekommen. Er ſaß mit Magelonen, ohne daß er ſie kannte, vor der Thuͤr der Huͤtte. Bie- nen und Schmetterlinge ſchwaͤrmten um ſie, und Peter faßte ein Zutrauen zu ſeiner Verpflegerin, ſo daß er ihr ſeine Geſchichte und ſein ganzes Un- gluͤck erzaͤhlte. Magelone ſtand ploͤtzlich auf und ging in ihre Kammer, da loͤſte ſie ihre goldenen Locken auf, und machte ſie von den Banden frei, die ſie bisher gehalten hatten, dann zog ſie ihre koͤſtliche Kleidung an, die ſie eingeſchloſſen hielt, und ſo kam ſie ploͤtzlich wieder vor die Augen Pe- ters. Er war vor Erſtaunen außer ſich, er um- armte die wiedergefundene Geliebte, dann erzaͤhl- ten ſie ſich ihre Geſchichte wieder, und weinten und kuͤßten ſich, ſo daß man haͤtte ungewiß ſeyn ſollen, ob ſie vor Jammer oder uͤbergroßer Freude ſo herz- brechend ſchluchzten. So verging ihnen der Tag.
Dann reiſte Peter mit Magelonen zu ſeinen Eltern, ſie wurden vermaͤhlt, und alles war in der groͤßten Freude; auch der Koͤnig von Neapel ver- ſoͤhnte ſich mit ſeinem neuen Sohne, und war mit der Heirath wohl zufrieden.
Auf dem Orte, wo Peter ſeine Magelone wieder gefunden hatte, ließ er einen praͤchtigen Sommerpallaſt bauen, und ſetzte den Schaͤfer zum
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Die ſchoͤne Magelone.
wie Schnee vor der Fruͤhlingsſonne hinweg ge-
ſchmolzen, und ihr Lebenslauf lag gruͤn und er-
friſcht vor ihr, ſo weit nur ihr Auge reichte. Sie
ging in die Huͤtte zuruͤck, und gab ſich noch nicht
zu erkennen.
Nach zweien Tagen war Peter wieder ganz
zu Kraͤften gekommen. Er ſaß mit Magelonen, ohne
daß er ſie kannte, vor der Thuͤr der Huͤtte. Bie-
nen und Schmetterlinge ſchwaͤrmten um ſie, und
Peter faßte ein Zutrauen zu ſeiner Verpflegerin,
ſo daß er ihr ſeine Geſchichte und ſein ganzes Un-
gluͤck erzaͤhlte. Magelone ſtand ploͤtzlich auf und
ging in ihre Kammer, da loͤſte ſie ihre goldenen
Locken auf, und machte ſie von den Banden frei,
die ſie bisher gehalten hatten, dann zog ſie ihre
koͤſtliche Kleidung an, die ſie eingeſchloſſen hielt,
und ſo kam ſie ploͤtzlich wieder vor die Augen Pe-
ters. Er war vor Erſtaunen außer ſich, er um-
armte die wiedergefundene Geliebte, dann erzaͤhl-
ten ſie ſich ihre Geſchichte wieder, und weinten und
kuͤßten ſich, ſo daß man haͤtte ungewiß ſeyn ſollen,
ob ſie vor Jammer oder uͤbergroßer Freude ſo herz-
brechend ſchluchzten. So verging ihnen der Tag.
Dann reiſte Peter mit Magelonen zu ſeinen
Eltern, ſie wurden vermaͤhlt, und alles war in der
groͤßten Freude; auch der Koͤnig von Neapel ver-
ſoͤhnte ſich mit ſeinem neuen Sohne, und war mit
der Heirath wohl zufrieden.
Auf dem Orte, wo Peter ſeine Magelone
wieder gefunden hatte, ließ er einen praͤchtigen
Sommerpallaſt bauen, und ſetzte den Schaͤfer zum
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/402>, abgerufen am 21.11.2024.
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