Diese süßen Träume der Kindheit und Sehn- sucht, fuhr Anton fort, lagen schon hinter mir, meine mündig werdende Phantasie forderte ge- haltvolleres Wesen. Treflich kamen meinem Be- dürfniß alle die wundervollen, bizarren und tol- len Romane unsers Spieß entgegen, von denen ich selbst die wieder las, die ich schon in frü- heren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir un- glaublich schnell, und am Abend hatte ich freund- liche Besuche, in deren Gesprächen die Töne jener gräßlichen, gespenstigen Begebenheiten wieder ver- hallten. So ward mein Leben zum Traum, und die angenehme Wiederkehr derselben Gegenstände und Gedanken fiel mir nicht beschwerlich, auch war ich nun schon so stark, daß ich einer guten Schreibart entbehren konnte, und die herzliche Abgeschmacktheit der Luftregenten, Petermänn- chen, Kettenträger, Löwenritter, gab mir durch die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen stärkern Ton; meine Ironie konnte sich nun schon mit der Composition beschäftigen, und der Arzt fand die stärkenden Mittel so wie eine Nachlas- sung der zu strengen Diät erlaubt und nicht mehr gefährlich.
Wieder eine Lebens-Periode beendigt, sagte Theodor.
Nun war aber guter Rath theuer, sprach Anton weiter. Ich hatte die Schwärmereien des Jünglings überstanden, Geschichte und wirkliche Welt lockten mich an, zusammt der nicht zu ver-
Einleitung.
Dieſe ſuͤßen Traͤume der Kindheit und Sehn- ſucht, fuhr Anton fort, lagen ſchon hinter mir, meine muͤndig werdende Phantaſie forderte ge- haltvolleres Weſen. Treflich kamen meinem Be- duͤrfniß alle die wundervollen, bizarren und tol- len Romane unſers Spieß entgegen, von denen ich ſelbſt die wieder las, die ich ſchon in fruͤ- heren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir un- glaublich ſchnell, und am Abend hatte ich freund- liche Beſuche, in deren Geſpraͤchen die Toͤne jener graͤßlichen, geſpenſtigen Begebenheiten wieder ver- hallten. So ward mein Leben zum Traum, und die angenehme Wiederkehr derſelben Gegenſtaͤnde und Gedanken fiel mir nicht beſchwerlich, auch war ich nun ſchon ſo ſtark, daß ich einer guten Schreibart entbehren konnte, und die herzliche Abgeſchmacktheit der Luftregenten, Petermaͤnn- chen, Kettentraͤger, Loͤwenritter, gab mir durch die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen ſtaͤrkern Ton; meine Ironie konnte ſich nun ſchon mit der Compoſition beſchaͤftigen, und der Arzt fand die ſtaͤrkenden Mittel ſo wie eine Nachlaſ- ſung der zu ſtrengen Diaͤt erlaubt und nicht mehr gefaͤhrlich.
Wieder eine Lebens-Periode beendigt, ſagte Theodor.
Nun war aber guter Rath theuer, ſprach Anton weiter. Ich hatte die Schwaͤrmereien des Juͤnglings uͤberſtanden, Geſchichte und wirkliche Welt lockten mich an, zuſammt der nicht zu ver-
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Einleitung.
Dieſe ſuͤßen Traͤume der Kindheit und Sehn-
ſucht, fuhr Anton fort, lagen ſchon hinter mir,
meine muͤndig werdende Phantaſie forderte ge-
haltvolleres Weſen. Treflich kamen meinem Be-
duͤrfniß alle die wundervollen, bizarren und tol-
len Romane unſers Spieß entgegen, von denen
ich ſelbſt die wieder las, die ich ſchon in fruͤ-
heren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir un-
glaublich ſchnell, und am Abend hatte ich freund-
liche Beſuche, in deren Geſpraͤchen die Toͤne jener
graͤßlichen, geſpenſtigen Begebenheiten wieder ver-
hallten. So ward mein Leben zum Traum, und
die angenehme Wiederkehr derſelben Gegenſtaͤnde
und Gedanken fiel mir nicht beſchwerlich, auch
war ich nun ſchon ſo ſtark, daß ich einer guten
Schreibart entbehren konnte, und die herzliche
Abgeſchmacktheit der Luftregenten, Petermaͤnn-
chen, Kettentraͤger, Loͤwenritter, gab mir durch
die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen
ſtaͤrkern Ton; meine Ironie konnte ſich nun ſchon
mit der Compoſition beſchaͤftigen, und der Arzt
fand die ſtaͤrkenden Mittel ſo wie eine Nachlaſ-
ſung der zu ſtrengen Diaͤt erlaubt und nicht
mehr gefaͤhrlich.
Wieder eine Lebens-Periode beendigt, ſagte
Theodor.
Nun war aber guter Rath theuer, ſprach
Anton weiter. Ich hatte die Schwaͤrmereien des
Juͤnglings uͤberſtanden, Geſchichte und wirkliche
Welt lockten mich an, zuſammt der nicht zu ver-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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