zu sehn, bemeisterte sich bald aller seiner Sinnen so sehr, daß er einem kühnen Anschlage nachdachte. Er sah das Heidenmädchen öfter, und sie sagte ihm, daß sie aus Liebe zu ihm mit ihm entfliehen wolle, erst zu einem Verwandten, der ein Schiff segelfertig liegen habe, das auf ihren Wink sogleich die Anker lichten würde; sie wolle ihm in der be- stimmten Nacht durch eine Laute und ein kleines Lied ein Zeichen geben, wann er kommen und sie abholen solle. Peter überlegte diesen Vorschlag und willigte endlich ein, denn er überzeugte sich, daß Magelone gewiß gestorben sey, und er komme doch so in die Christenheit und zu seinen Eltern zurück.
Der Garten des Sultans lag am Ufer des Meeres, und die bestimmte Nacht war jetzt herbei gekommen. Gegen Abend hatte Peter ein wenig unter den kühlen Bäumen geschlummert, und Ma- gelone war ihm in aller Herrlichkeit, aber mit einer drohenden Gebehrde, im Traum erschienen. Die ganze Vergangenheit zog mit den lebhaftesten Bil- dern durch seinen Busen, jede Stunde seiner glück- lichen Liebe kam mit allen seeligen Empfindungen zurück, und als er nun erwachte, erschrack er vor sich selber und seinem Vorsatze. Er hätte sich sel- ber entfliehen mögen, und das Andenken an sich und sein Bewußtseyn aus seinem Busen vertilgen.
Die Nacht brach indeß herein, und alle Sterne glänzten schon am Himmel; der Mond ging auf und warf sein goldenes Netz über das Meer hin, als Peter nachdenklich am Ufer auf und nieder ging. Ein frischer Wind blies vom Lande her
Erſte Abtheilung.
zu ſehn, bemeiſterte ſich bald aller ſeiner Sinnen ſo ſehr, daß er einem kuͤhnen Anſchlage nachdachte. Er ſah das Heidenmaͤdchen oͤfter, und ſie ſagte ihm, daß ſie aus Liebe zu ihm mit ihm entfliehen wolle, erſt zu einem Verwandten, der ein Schiff ſegelfertig liegen habe, das auf ihren Wink ſogleich die Anker lichten wuͤrde; ſie wolle ihm in der be- ſtimmten Nacht durch eine Laute und ein kleines Lied ein Zeichen geben, wann er kommen und ſie abholen ſolle. Peter uͤberlegte dieſen Vorſchlag und willigte endlich ein, denn er uͤberzeugte ſich, daß Magelone gewiß geſtorben ſey, und er komme doch ſo in die Chriſtenheit und zu ſeinen Eltern zuruͤck.
Der Garten des Sultans lag am Ufer des Meeres, und die beſtimmte Nacht war jetzt herbei gekommen. Gegen Abend hatte Peter ein wenig unter den kuͤhlen Baͤumen geſchlummert, und Ma- gelone war ihm in aller Herrlichkeit, aber mit einer drohenden Gebehrde, im Traum erſchienen. Die ganze Vergangenheit zog mit den lebhafteſten Bil- dern durch ſeinen Buſen, jede Stunde ſeiner gluͤck- lichen Liebe kam mit allen ſeeligen Empfindungen zuruͤck, und als er nun erwachte, erſchrack er vor ſich ſelber und ſeinem Vorſatze. Er haͤtte ſich ſel- ber entfliehen moͤgen, und das Andenken an ſich und ſein Bewußtſeyn aus ſeinem Buſen vertilgen.
Die Nacht brach indeß herein, und alle Sterne glaͤnzten ſchon am Himmel; der Mond ging auf und warf ſein goldenes Netz uͤber das Meer hin, als Peter nachdenklich am Ufer auf und nieder ging. Ein friſcher Wind blies vom Lande her
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Erſte Abtheilung.
zu ſehn, bemeiſterte ſich bald aller ſeiner Sinnen
ſo ſehr, daß er einem kuͤhnen Anſchlage nachdachte.
Er ſah das Heidenmaͤdchen oͤfter, und ſie ſagte
ihm, daß ſie aus Liebe zu ihm mit ihm entfliehen
wolle, erſt zu einem Verwandten, der ein Schiff
ſegelfertig liegen habe, das auf ihren Wink ſogleich
die Anker lichten wuͤrde; ſie wolle ihm in der be-
ſtimmten Nacht durch eine Laute und ein kleines
Lied ein Zeichen geben, wann er kommen und ſie
abholen ſolle. Peter uͤberlegte dieſen Vorſchlag und
willigte endlich ein, denn er uͤberzeugte ſich, daß
Magelone gewiß geſtorben ſey, und er komme doch
ſo in die Chriſtenheit und zu ſeinen Eltern zuruͤck.
Der Garten des Sultans lag am Ufer des
Meeres, und die beſtimmte Nacht war jetzt herbei
gekommen. Gegen Abend hatte Peter ein wenig
unter den kuͤhlen Baͤumen geſchlummert, und Ma-
gelone war ihm in aller Herrlichkeit, aber mit einer
drohenden Gebehrde, im Traum erſchienen. Die
ganze Vergangenheit zog mit den lebhafteſten Bil-
dern durch ſeinen Buſen, jede Stunde ſeiner gluͤck-
lichen Liebe kam mit allen ſeeligen Empfindungen
zuruͤck, und als er nun erwachte, erſchrack er vor
ſich ſelber und ſeinem Vorſatze. Er haͤtte ſich ſel-
ber entfliehen moͤgen, und das Andenken an ſich
und ſein Bewußtſeyn aus ſeinem Buſen vertilgen.
Die Nacht brach indeß herein, und alle Sterne
glaͤnzten ſchon am Himmel; der Mond ging auf
und warf ſein goldenes Netz uͤber das Meer hin,
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/389>, abgerufen am 16.02.2025.
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