den dichten Wald des Schäfers Schallmey, ein edles Fräulein fliegt auf einem weißen Zelter vor- über, Ritter und Knappen begegnen mir in blan- ker Rüstung und Abentheuer drängen sich; unge- kannt zieh ich durch die berühmten Städte, der wunderbarste Wechsel, ein ewig neues Leben um- giebt mich, und ich begreife mich selber kaum, wenn ich an die Heimath und den stets wieder kehren- den Kreis der hiesigen Begebenheiten zurück denke. O ich möchte schon auf meinem guten Rosse sitzen, ich möchte sogleich dem väterlichen Hause Lebe- wohl sagen.
Er war von diesen neuen Vorstellungen erhitzt, und ging sogleich in das Gemach seiner Mutter, wo er auch den Grafen seinen Vater traf. Peter ließ sich alsbald demüthig auf ein Knie nieder und trug seine Bitte vor, daß seine Eltern ihm erlau- ben möchten zu reisen und Abentheuer aufzusuchen; denn, so schloß er seine Rede: wer immer nur in der Heimath bleibt, behält auch für seine Lebens- zeit nur einen einheimischen Sinn, aber in der Fremde lernt man das Niegesehene mit dem Wohl- bekannten verbinden, darum versagt mir Eure Er- laubniß nicht.
Der alte Graf erschrack über den Antrag sei- nes Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn sie hatten sich dessen am wenigsten versehn. Der Graf sagte: mein Sohn, deine Bitte kömmt mir unge- legen, denn du bist mein einziger Erbe; wenn ich nun während deiner Abwesenheit mit Tode abginge, was sollte da aus meinem Lande werden? Aber
Erſte Abtheilung.
den dichten Wald des Schaͤfers Schallmey, ein edles Fraͤulein fliegt auf einem weißen Zelter vor- uͤber, Ritter und Knappen begegnen mir in blan- ker Ruͤſtung und Abentheuer draͤngen ſich; unge- kannt zieh ich durch die beruͤhmten Staͤdte, der wunderbarſte Wechſel, ein ewig neues Leben um- giebt mich, und ich begreife mich ſelber kaum, wenn ich an die Heimath und den ſtets wieder kehren- den Kreis der hieſigen Begebenheiten zuruͤck denke. O ich moͤchte ſchon auf meinem guten Roſſe ſitzen, ich moͤchte ſogleich dem vaͤterlichen Hauſe Lebe- wohl ſagen.
Er war von dieſen neuen Vorſtellungen erhitzt, und ging ſogleich in das Gemach ſeiner Mutter, wo er auch den Grafen ſeinen Vater traf. Peter ließ ſich alsbald demuͤthig auf ein Knie nieder und trug ſeine Bitte vor, daß ſeine Eltern ihm erlau- ben moͤchten zu reiſen und Abentheuer aufzuſuchen; denn, ſo ſchloß er ſeine Rede: wer immer nur in der Heimath bleibt, behaͤlt auch fuͤr ſeine Lebens- zeit nur einen einheimiſchen Sinn, aber in der Fremde lernt man das Niegeſehene mit dem Wohl- bekannten verbinden, darum verſagt mir Eure Er- laubniß nicht.
Der alte Graf erſchrack uͤber den Antrag ſei- nes Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn ſie hatten ſich deſſen am wenigſten verſehn. Der Graf ſagte: mein Sohn, deine Bitte koͤmmt mir unge- legen, denn du biſt mein einziger Erbe; wenn ich nun waͤhrend deiner Abweſenheit mit Tode abginge, was ſollte da aus meinem Lande werden? Aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0341"n="330"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
den dichten Wald des Schaͤfers Schallmey, ein<lb/>
edles Fraͤulein fliegt auf einem weißen Zelter vor-<lb/>
uͤber, Ritter und Knappen begegnen mir in blan-<lb/>
ker Ruͤſtung und Abentheuer draͤngen ſich; unge-<lb/>
kannt zieh ich durch die beruͤhmten Staͤdte, der<lb/>
wunderbarſte Wechſel, ein ewig neues Leben um-<lb/>
giebt mich, und ich begreife mich ſelber kaum, wenn<lb/>
ich an die Heimath und den ſtets wieder kehren-<lb/>
den Kreis der hieſigen Begebenheiten zuruͤck denke.<lb/>
O ich moͤchte ſchon auf meinem guten Roſſe ſitzen,<lb/>
ich moͤchte ſogleich dem vaͤterlichen Hauſe Lebe-<lb/>
wohl ſagen.</p><lb/><p>Er war von dieſen neuen Vorſtellungen erhitzt,<lb/>
und ging ſogleich in das Gemach ſeiner Mutter,<lb/>
wo er auch den Grafen ſeinen Vater traf. Peter<lb/>
ließ ſich alsbald demuͤthig auf ein Knie nieder und<lb/>
trug ſeine Bitte vor, daß ſeine Eltern ihm erlau-<lb/>
ben moͤchten zu reiſen und Abentheuer aufzuſuchen;<lb/>
denn, ſo ſchloß er ſeine Rede: wer immer nur in<lb/>
der Heimath bleibt, behaͤlt auch fuͤr ſeine Lebens-<lb/>
zeit nur einen einheimiſchen Sinn, aber in der<lb/>
Fremde lernt man das Niegeſehene mit dem Wohl-<lb/>
bekannten verbinden, darum verſagt mir Eure Er-<lb/>
laubniß nicht.</p><lb/><p>Der alte Graf erſchrack uͤber den Antrag ſei-<lb/>
nes Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn ſie<lb/>
hatten ſich deſſen am wenigſten verſehn. Der Graf<lb/>ſagte: mein Sohn, deine Bitte koͤmmt mir unge-<lb/>
legen, denn du biſt mein einziger Erbe; wenn ich<lb/>
nun waͤhrend deiner Abweſenheit mit Tode abginge,<lb/>
was ſollte da aus meinem Lande werden? Aber<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[330/0341]
Erſte Abtheilung.
den dichten Wald des Schaͤfers Schallmey, ein
edles Fraͤulein fliegt auf einem weißen Zelter vor-
uͤber, Ritter und Knappen begegnen mir in blan-
ker Ruͤſtung und Abentheuer draͤngen ſich; unge-
kannt zieh ich durch die beruͤhmten Staͤdte, der
wunderbarſte Wechſel, ein ewig neues Leben um-
giebt mich, und ich begreife mich ſelber kaum, wenn
ich an die Heimath und den ſtets wieder kehren-
den Kreis der hieſigen Begebenheiten zuruͤck denke.
O ich moͤchte ſchon auf meinem guten Roſſe ſitzen,
ich moͤchte ſogleich dem vaͤterlichen Hauſe Lebe-
wohl ſagen.
Er war von dieſen neuen Vorſtellungen erhitzt,
und ging ſogleich in das Gemach ſeiner Mutter,
wo er auch den Grafen ſeinen Vater traf. Peter
ließ ſich alsbald demuͤthig auf ein Knie nieder und
trug ſeine Bitte vor, daß ſeine Eltern ihm erlau-
ben moͤchten zu reiſen und Abentheuer aufzuſuchen;
denn, ſo ſchloß er ſeine Rede: wer immer nur in
der Heimath bleibt, behaͤlt auch fuͤr ſeine Lebens-
zeit nur einen einheimiſchen Sinn, aber in der
Fremde lernt man das Niegeſehene mit dem Wohl-
bekannten verbinden, darum verſagt mir Eure Er-
laubniß nicht.
Der alte Graf erſchrack uͤber den Antrag ſei-
nes Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn ſie
hatten ſich deſſen am wenigſten verſehn. Der Graf
ſagte: mein Sohn, deine Bitte koͤmmt mir unge-
legen, denn du biſt mein einziger Erbe; wenn ich
nun waͤhrend deiner Abweſenheit mit Tode abginge,
was ſollte da aus meinem Lande werden? Aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/341>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.