Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.

Was du da berührst, sagte Anton, berührt
zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt,
sondern fast nothwendig sei, daß Freunde vor
einander Geheimnisse haben, ja es erklärt gewis-
sermaßen die seltsame Erscheinung, daß man dem
einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag,
was man gern dem verschweigt, mit dem man
vielleicht in noch vertrautern Verhältnissen lebt.
Es ist eine Kunst in der Freundschaft wie in
allen Dingen, und vielleicht daher, daß man sie
nicht als Kunst erkennt und treibt, entspringt
der Mangel an Freundschaft, über welchen alle
Welt jetzt klagt.

Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb-
haft aus, in das Gebiet, in welchem unser
Friedrich so gerne wandelt! Ihn muß man über
diese Gegenstände reden hören, denn er verlangt
und sieht allenthalben Geheimniß, das er nicht
gestört wissen will, denn es ist ihm das Element
der Freundschaft und Liebe. Verarge doch dem
Freunde nicht, sprach er einmal, wenn du ahn-
dest, daß er dir etwas verbirgt, denn dies ist
ja nur der Beweis einer zärteren Liebe, einer
Scheu, die sich ängstlich um dich bewirbt, und
sittsam an dich schmiegt; o ihr Liebenden, ver-
geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr
ein Gefühl dem Worte anvertrauen wollt! was
läßt sich denn überall in Worten sagen? Ist
doch für vieles schon der Blick zu ungeistig und
körperlich! -- -- O Brüder, Engelherzen, wie

Einleitung.

Was du da beruͤhrſt, ſagte Anton, beruͤhrt
zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt,
ſondern faſt nothwendig ſei, daß Freunde vor
einander Geheimniſſe haben, ja es erklaͤrt gewiſ-
ſermaßen die ſeltſame Erſcheinung, daß man dem
einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag,
was man gern dem verſchweigt, mit dem man
vielleicht in noch vertrautern Verhaͤltniſſen lebt.
Es iſt eine Kunſt in der Freundſchaft wie in
allen Dingen, und vielleicht daher, daß man ſie
nicht als Kunſt erkennt und treibt, entſpringt
der Mangel an Freundſchaft, uͤber welchen alle
Welt jetzt klagt.

Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb-
haft aus, in das Gebiet, in welchem unſer
Friedrich ſo gerne wandelt! Ihn muß man uͤber
dieſe Gegenſtaͤnde reden hoͤren, denn er verlangt
und ſieht allenthalben Geheimniß, das er nicht
geſtoͤrt wiſſen will, denn es iſt ihm das Element
der Freundſchaft und Liebe. Verarge doch dem
Freunde nicht, ſprach er einmal, wenn du ahn-
deſt, daß er dir etwas verbirgt, denn dies iſt
ja nur der Beweis einer zaͤrteren Liebe, einer
Scheu, die ſich aͤngſtlich um dich bewirbt, und
ſittſam an dich ſchmiegt; o ihr Liebenden, ver-
geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr
ein Gefuͤhl dem Worte anvertrauen wollt! was
laͤßt ſich denn uͤberall in Worten ſagen? Iſt
doch fuͤr vieles ſchon der Blick zu ungeiſtig und
koͤrperlich! — — O Bruͤder, Engelherzen, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0034" n="23"/>
        <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
        <p>Was du da beru&#x0364;hr&#x017F;t, &#x017F;agte Anton, beru&#x0364;hrt<lb/>
zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt,<lb/>
&#x017F;ondern fa&#x017F;t nothwendig &#x017F;ei, daß Freunde vor<lb/>
einander Geheimni&#x017F;&#x017F;e haben, ja es erkla&#x0364;rt gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ermaßen die &#x017F;elt&#x017F;ame Er&#x017F;cheinung, daß man dem<lb/>
einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag,<lb/>
was man gern dem ver&#x017F;chweigt, mit dem man<lb/>
vielleicht in noch vertrautern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en lebt.<lb/>
Es i&#x017F;t eine Kun&#x017F;t in der Freund&#x017F;chaft wie in<lb/>
allen Dingen, und vielleicht daher, daß man &#x017F;ie<lb/>
nicht als Kun&#x017F;t erkennt und treibt, ent&#x017F;pringt<lb/>
der Mangel an Freund&#x017F;chaft, u&#x0364;ber welchen alle<lb/>
Welt jetzt klagt.</p><lb/>
        <p>Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb-<lb/>
haft aus, in das Gebiet, in welchem un&#x017F;er<lb/>
Friedrich &#x017F;o gerne wandelt! Ihn muß man u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;e Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde reden ho&#x0364;ren, denn er verlangt<lb/>
und &#x017F;ieht allenthalben Geheimniß, das er nicht<lb/>
ge&#x017F;to&#x0364;rt wi&#x017F;&#x017F;en will, denn es i&#x017F;t ihm das Element<lb/>
der Freund&#x017F;chaft und Liebe. Verarge doch dem<lb/>
Freunde nicht, &#x017F;prach er einmal, wenn du ahn-<lb/>
de&#x017F;t, daß er dir etwas verbirgt, denn dies i&#x017F;t<lb/>
ja nur der Beweis einer za&#x0364;rteren Liebe, einer<lb/>
Scheu, die &#x017F;ich a&#x0364;ng&#x017F;tlich um dich bewirbt, und<lb/>
&#x017F;itt&#x017F;am an dich &#x017F;chmiegt; o ihr Liebenden, ver-<lb/>
geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr<lb/>
ein Gefu&#x0364;hl dem Worte anvertrauen wollt! was<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich denn u&#x0364;berall in Worten &#x017F;agen? I&#x017F;t<lb/>
doch fu&#x0364;r vieles &#x017F;chon der Blick zu ungei&#x017F;tig und<lb/>
ko&#x0364;rperlich! &#x2014; &#x2014; O Bru&#x0364;der, Engelherzen, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0034] Einleitung. Was du da beruͤhrſt, ſagte Anton, beruͤhrt zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt, ſondern faſt nothwendig ſei, daß Freunde vor einander Geheimniſſe haben, ja es erklaͤrt gewiſ- ſermaßen die ſeltſame Erſcheinung, daß man dem einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag, was man gern dem verſchweigt, mit dem man vielleicht in noch vertrautern Verhaͤltniſſen lebt. Es iſt eine Kunſt in der Freundſchaft wie in allen Dingen, und vielleicht daher, daß man ſie nicht als Kunſt erkennt und treibt, entſpringt der Mangel an Freundſchaft, uͤber welchen alle Welt jetzt klagt. Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb- haft aus, in das Gebiet, in welchem unſer Friedrich ſo gerne wandelt! Ihn muß man uͤber dieſe Gegenſtaͤnde reden hoͤren, denn er verlangt und ſieht allenthalben Geheimniß, das er nicht geſtoͤrt wiſſen will, denn es iſt ihm das Element der Freundſchaft und Liebe. Verarge doch dem Freunde nicht, ſprach er einmal, wenn du ahn- deſt, daß er dir etwas verbirgt, denn dies iſt ja nur der Beweis einer zaͤrteren Liebe, einer Scheu, die ſich aͤngſtlich um dich bewirbt, und ſittſam an dich ſchmiegt; o ihr Liebenden, ver- geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr ein Gefuͤhl dem Worte anvertrauen wollt! was laͤßt ſich denn uͤberall in Worten ſagen? Iſt doch fuͤr vieles ſchon der Blick zu ungeiſtig und koͤrperlich! — — O Bruͤder, Engelherzen, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/34
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/34>, abgerufen am 21.11.2024.