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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Liebeszauber.
war mit dieser Einrichtung zufrieden. Gegen das
Ende der Mahlzeit ließ er seinen Haushofmeister
kommen, und sagte zur Braut gewendet: liebe
Freundin, laß auch die Armuth an unserm Ue-
berflusse Theil nehmen. Er befahl hierauf, eine
Anzahl Flaschen Wein, Gebackenes, und verschie-
dene Gerichte in reichlichen Portionen dem armen
Brautpaar hinüber zu senden, damit ihnen dieser
Tag auch ein Freudentag sein könne, dessen sie sich
nachher gern erinnern möchten. Sieh, Freund,
rief Roderich aus, wie schön alles in der Welt
zusammen hängt! Mein unnützes Umtreiben und
Schwatzen, das du so oft an mir tadelst, hat doch
nun diese gute Handlung veranlaßt. Viele wollten
dem Wirthe über sein Mitleid und gutes Herz
etwas Artiges sagen, und das Fräulein sprach von
schöner Gesinnung und Edelmuth. O schweigen
wir! rief Emil zornig: es ist keine gute Handlung,
ja überhaupt keine Handlung, es ist nichts! Wenn
Schwalben und Hänflinge sich von den weggewor-
fenen Brosamen dieses Ueberflusses nähren, und sie
zu ihren Jungen in die Nester tragen, sollte ich
nicht eines armen Mitbruders gedenken, der mein
bedarf? Wenn ich meinem Herzen folgen dürfte,
so würdet ihr mich eben so gut wie manchen andern
verlachen und verspotten, der in die Wüste zog,
um nichts mehr von der Welt und ihrem Edelmuth
zu erfahren.

Man schwieg, und Roderich erkannte in den
glühenden Augen seines Freundes den heftigsten
Unwillen; er besorgte, daß er sich in seiner Ver-

Liebeszauber.
war mit dieſer Einrichtung zufrieden. Gegen das
Ende der Mahlzeit ließ er ſeinen Haushofmeiſter
kommen, und ſagte zur Braut gewendet: liebe
Freundin, laß auch die Armuth an unſerm Ue-
berfluſſe Theil nehmen. Er befahl hierauf, eine
Anzahl Flaſchen Wein, Gebackenes, und verſchie-
dene Gerichte in reichlichen Portionen dem armen
Brautpaar hinuͤber zu ſenden, damit ihnen dieſer
Tag auch ein Freudentag ſein koͤnne, deſſen ſie ſich
nachher gern erinnern moͤchten. Sieh, Freund,
rief Roderich aus, wie ſchoͤn alles in der Welt
zuſammen haͤngt! Mein unnuͤtzes Umtreiben und
Schwatzen, das du ſo oft an mir tadelſt, hat doch
nun dieſe gute Handlung veranlaßt. Viele wollten
dem Wirthe uͤber ſein Mitleid und gutes Herz
etwas Artiges ſagen, und das Fraͤulein ſprach von
ſchoͤner Geſinnung und Edelmuth. O ſchweigen
wir! rief Emil zornig: es iſt keine gute Handlung,
ja uͤberhaupt keine Handlung, es iſt nichts! Wenn
Schwalben und Haͤnflinge ſich von den weggewor-
fenen Broſamen dieſes Ueberfluſſes naͤhren, und ſie
zu ihren Jungen in die Neſter tragen, ſollte ich
nicht eines armen Mitbruders gedenken, der mein
bedarf? Wenn ich meinem Herzen folgen duͤrfte,
ſo wuͤrdet ihr mich eben ſo gut wie manchen andern
verlachen und verſpotten, der in die Wuͤſte zog,
um nichts mehr von der Welt und ihrem Edelmuth
zu erfahren.

Man ſchwieg, und Roderich erkannte in den
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[309/0320] Liebeszauber. war mit dieſer Einrichtung zufrieden. Gegen das Ende der Mahlzeit ließ er ſeinen Haushofmeiſter kommen, und ſagte zur Braut gewendet: liebe Freundin, laß auch die Armuth an unſerm Ue- berfluſſe Theil nehmen. Er befahl hierauf, eine Anzahl Flaſchen Wein, Gebackenes, und verſchie- dene Gerichte in reichlichen Portionen dem armen Brautpaar hinuͤber zu ſenden, damit ihnen dieſer Tag auch ein Freudentag ſein koͤnne, deſſen ſie ſich nachher gern erinnern moͤchten. Sieh, Freund, rief Roderich aus, wie ſchoͤn alles in der Welt zuſammen haͤngt! Mein unnuͤtzes Umtreiben und Schwatzen, das du ſo oft an mir tadelſt, hat doch nun dieſe gute Handlung veranlaßt. Viele wollten dem Wirthe uͤber ſein Mitleid und gutes Herz etwas Artiges ſagen, und das Fraͤulein ſprach von ſchoͤner Geſinnung und Edelmuth. O ſchweigen wir! rief Emil zornig: es iſt keine gute Handlung, ja uͤberhaupt keine Handlung, es iſt nichts! Wenn Schwalben und Haͤnflinge ſich von den weggewor- fenen Broſamen dieſes Ueberfluſſes naͤhren, und ſie zu ihren Jungen in die Neſter tragen, ſollte ich nicht eines armen Mitbruders gedenken, der mein bedarf? Wenn ich meinem Herzen folgen duͤrfte, ſo wuͤrdet ihr mich eben ſo gut wie manchen andern verlachen und verſpotten, der in die Wuͤſte zog, um nichts mehr von der Welt und ihrem Edelmuth zu erfahren. Man ſchwieg, und Roderich erkannte in den gluͤhenden Augen ſeines Freundes den heftigſten Unwillen; er beſorgte, daß er ſich in ſeiner Ver-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/320>, abgerufen am 25.11.2024.