ungen und Fußstöße erdulden wolltet, mit denen roher Uebermuth und reiche Schwelgerei das Elend von ihren Tafeln weisen, um nur diese Sünde des Ueberflusses von euch zu werfen.
Alle Gebilde der Welt schwankten wie ein Ne- bel vor seinen Augen; er nahm sich vor, die Ver- stoßenen als seine Brüder anzusehn, und sich von den Glücklichen zu entfernen. Lange hatte man schon im Saale seiner zur Trauung gewartet, die Braut war besorgt, die Eltern suchten ihn im Garten und Park; endlich kam er ausgeweint und leichter zurück, und die feyerliche Handlung ward vollzogen.
Man begab sich aus dem untern Saal nach der offnen Halle, um sich zu Tische zu setzen. Braut und Bräutigam gingen voran, und die übrigen folgten im Zuge; Roderich bot seinen Arm einem jungen Mädchen, die munter und geschwätzig war. Warum nur die Bräute immer weinen und bei der Trauung so ernsthaft aussehn, sagte diese, in- dem sie zur Gallerie hinauf stiegen.
Weil sie in diesem Augenblick am lebhaftesten von der Wichtigkeit und dem Geheimnißvollen des Lebens durchdrungen werden, antwortete Roderich.
Aber unsre Braut, fuhr jene fort, übertrifft noch an Feierlichkeit alle, die ich jemals gesehn habe; sie ist überhaupt immer schwermüthig, man sieht sie nie recht heiter lachen.
Dies macht ihrem Herzen um so mehr Ehre, antwortete Roderich, gegen seine Gewohnheit ver- stimmt. Sie wissen vielleicht nicht, mein Fräulein,
Liebeszauber.
ungen und Fußſtoͤße erdulden wolltet, mit denen roher Uebermuth und reiche Schwelgerei das Elend von ihren Tafeln weiſen, um nur dieſe Suͤnde des Ueberfluſſes von euch zu werfen.
Alle Gebilde der Welt ſchwankten wie ein Ne- bel vor ſeinen Augen; er nahm ſich vor, die Ver- ſtoßenen als ſeine Bruͤder anzuſehn, und ſich von den Gluͤcklichen zu entfernen. Lange hatte man ſchon im Saale ſeiner zur Trauung gewartet, die Braut war beſorgt, die Eltern ſuchten ihn im Garten und Park; endlich kam er ausgeweint und leichter zuruͤck, und die feyerliche Handlung ward vollzogen.
Man begab ſich aus dem untern Saal nach der offnen Halle, um ſich zu Tiſche zu ſetzen. Braut und Braͤutigam gingen voran, und die uͤbrigen folgten im Zuge; Roderich bot ſeinen Arm einem jungen Maͤdchen, die munter und geſchwaͤtzig war. Warum nur die Braͤute immer weinen und bei der Trauung ſo ernſthaft ausſehn, ſagte dieſe, in- dem ſie zur Gallerie hinauf ſtiegen.
Weil ſie in dieſem Augenblick am lebhafteſten von der Wichtigkeit und dem Geheimnißvollen des Lebens durchdrungen werden, antwortete Roderich.
Aber unſre Braut, fuhr jene fort, uͤbertrifft noch an Feierlichkeit alle, die ich jemals geſehn habe; ſie iſt uͤberhaupt immer ſchwermuͤthig, man ſieht ſie nie recht heiter lachen.
Dies macht ihrem Herzen um ſo mehr Ehre, antwortete Roderich, gegen ſeine Gewohnheit ver- ſtimmt. Sie wiſſen vielleicht nicht, mein Fraͤulein,
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Liebeszauber.
ungen und Fußſtoͤße erdulden wolltet, mit denen
roher Uebermuth und reiche Schwelgerei das Elend
von ihren Tafeln weiſen, um nur dieſe Suͤnde des
Ueberfluſſes von euch zu werfen.
Alle Gebilde der Welt ſchwankten wie ein Ne-
bel vor ſeinen Augen; er nahm ſich vor, die Ver-
ſtoßenen als ſeine Bruͤder anzuſehn, und ſich von
den Gluͤcklichen zu entfernen. Lange hatte man
ſchon im Saale ſeiner zur Trauung gewartet, die
Braut war beſorgt, die Eltern ſuchten ihn im
Garten und Park; endlich kam er ausgeweint und
leichter zuruͤck, und die feyerliche Handlung ward
vollzogen.
Man begab ſich aus dem untern Saal nach der
offnen Halle, um ſich zu Tiſche zu ſetzen. Braut
und Braͤutigam gingen voran, und die uͤbrigen
folgten im Zuge; Roderich bot ſeinen Arm einem
jungen Maͤdchen, die munter und geſchwaͤtzig war.
Warum nur die Braͤute immer weinen und bei
der Trauung ſo ernſthaft ausſehn, ſagte dieſe, in-
dem ſie zur Gallerie hinauf ſtiegen.
Weil ſie in dieſem Augenblick am lebhafteſten
von der Wichtigkeit und dem Geheimnißvollen des
Lebens durchdrungen werden, antwortete Roderich.
Aber unſre Braut, fuhr jene fort, uͤbertrifft
noch an Feierlichkeit alle, die ich jemals geſehn habe;
ſie iſt uͤberhaupt immer ſchwermuͤthig, man ſieht
ſie nie recht heiter lachen.
Dies macht ihrem Herzen um ſo mehr Ehre,
antwortete Roderich, gegen ſeine Gewohnheit ver-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/318>, abgerufen am 25.11.2024.
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