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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Liebeszauber.
muthwillige Dienstboten, junge Bursche und Mäg-
de, schäkerten und lachten, und verspotteten das
Brautpaar, vorzüglich die Kammerjungfern, die
sich schöner dünkten und sich unendlich besser geklei-
det sahen. Ein Schauer erfaßte Emil; er blickte
nach Roderich um, dieser war aber schon wieder
entlaufen. Ein naseweiser Bursche mit einem Ti-
tuskopf, der Bedienter eines Fremden, drängte sich,
um witzig zu erscheinen, an Emil und rief: Nun,
gnädiger Herr, was sagen Sie zu dem glänzenden
Brautpaar? Beide wissen noch nicht, wo sie mor-
gen Brod hernehmen sollen; und heut Nachmittag
werden sie doch einen Ball geben, der Virtuos
dort ist schon bestellt. -- Kein Brod? sagte Emil;
giebt es so etwas? -- Ihr ganzes Elend ist dem
Volke bekannt, fuhr jener schwatzend fort, aber
der Kerl sagt, er bleibe dem Wesen dennoch gut,
wenn sie auch nichts zubrächte; o ja freilich, die
Liebe ist allgewaltig! das Lumpenpack hat nicht
einmal Betten, sie müssen sogar diese Nacht auf
der Streu schlafen; das Dünnbier haben sie sich
zusammen gebettelt, worin sie sich besaufen wol-
len. Alle umher lachten laut, und die beiden ver-
spotteten Unglücklichen schlugen die Augen nieder.
Emil stieß zornig den Schwätzer von sich; nehmt!
rief er aus, und warf in die Hand des erstarrten
Bräutigams hundert Dukaten, welche er am Mor-
gen eingenommen hatte. Die Alten und die Braut-
leute weinten laut, warfen sich ungeschickt auf die
Kniee und küßten ihm Hände und Kleider. Er
wollte sich losmachen. Haltet euch damit das

I. [ 20 ]

Liebeszauber.
muthwillige Dienſtboten, junge Burſche und Maͤg-
de, ſchaͤkerten und lachten, und verſpotteten das
Brautpaar, vorzuͤglich die Kammerjungfern, die
ſich ſchoͤner duͤnkten und ſich unendlich beſſer geklei-
det ſahen. Ein Schauer erfaßte Emil; er blickte
nach Roderich um, dieſer war aber ſchon wieder
entlaufen. Ein naſeweiſer Burſche mit einem Ti-
tuskopf, der Bedienter eines Fremden, draͤngte ſich,
um witzig zu erſcheinen, an Emil und rief: Nun,
gnaͤdiger Herr, was ſagen Sie zu dem glaͤnzenden
Brautpaar? Beide wiſſen noch nicht, wo ſie mor-
gen Brod hernehmen ſollen; und heut Nachmittag
werden ſie doch einen Ball geben, der Virtuos
dort iſt ſchon beſtellt. — Kein Brod? ſagte Emil;
giebt es ſo etwas? — Ihr ganzes Elend iſt dem
Volke bekannt, fuhr jener ſchwatzend fort, aber
der Kerl ſagt, er bleibe dem Weſen dennoch gut,
wenn ſie auch nichts zubraͤchte; o ja freilich, die
Liebe iſt allgewaltig! das Lumpenpack hat nicht
einmal Betten, ſie muͤſſen ſogar dieſe Nacht auf
der Streu ſchlafen; das Duͤnnbier haben ſie ſich
zuſammen gebettelt, worin ſie ſich beſaufen wol-
len. Alle umher lachten laut, und die beiden ver-
ſpotteten Ungluͤcklichen ſchlugen die Augen nieder.
Emil ſtieß zornig den Schwaͤtzer von ſich; nehmt!
rief er aus, und warf in die Hand des erſtarrten
Braͤutigams hundert Dukaten, welche er am Mor-
gen eingenommen hatte. Die Alten und die Braut-
leute weinten laut, warfen ſich ungeſchickt auf die
Kniee und kuͤßten ihm Haͤnde und Kleider. Er
wollte ſich losmachen. Haltet euch damit das

I. [ 20 ]
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[305/0316] Liebeszauber. muthwillige Dienſtboten, junge Burſche und Maͤg- de, ſchaͤkerten und lachten, und verſpotteten das Brautpaar, vorzuͤglich die Kammerjungfern, die ſich ſchoͤner duͤnkten und ſich unendlich beſſer geklei- det ſahen. Ein Schauer erfaßte Emil; er blickte nach Roderich um, dieſer war aber ſchon wieder entlaufen. Ein naſeweiſer Burſche mit einem Ti- tuskopf, der Bedienter eines Fremden, draͤngte ſich, um witzig zu erſcheinen, an Emil und rief: Nun, gnaͤdiger Herr, was ſagen Sie zu dem glaͤnzenden Brautpaar? Beide wiſſen noch nicht, wo ſie mor- gen Brod hernehmen ſollen; und heut Nachmittag werden ſie doch einen Ball geben, der Virtuos dort iſt ſchon beſtellt. — Kein Brod? ſagte Emil; giebt es ſo etwas? — Ihr ganzes Elend iſt dem Volke bekannt, fuhr jener ſchwatzend fort, aber der Kerl ſagt, er bleibe dem Weſen dennoch gut, wenn ſie auch nichts zubraͤchte; o ja freilich, die Liebe iſt allgewaltig! das Lumpenpack hat nicht einmal Betten, ſie muͤſſen ſogar dieſe Nacht auf der Streu ſchlafen; das Duͤnnbier haben ſie ſich zuſammen gebettelt, worin ſie ſich beſaufen wol- len. Alle umher lachten laut, und die beiden ver- ſpotteten Ungluͤcklichen ſchlugen die Augen nieder. Emil ſtieß zornig den Schwaͤtzer von ſich; nehmt! rief er aus, und warf in die Hand des erſtarrten Braͤutigams hundert Dukaten, welche er am Mor- gen eingenommen hatte. Die Alten und die Braut- leute weinten laut, warfen ſich ungeſchickt auf die Kniee und kuͤßten ihm Haͤnde und Kleider. Er wollte ſich losmachen. Haltet euch damit das I. [ 20 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/316>, abgerufen am 21.11.2024.