aller Aufgaben, denn er ist so reizbar, daß man nur husten, nicht edel genug essen, oder gar die Zähne stochern darf, um ihn tödtlich zu beleidigen.
War er nie verliebt? fragte der Freund vom Lande.
Wen sollte er lieben? antwortete Roderich, er verachtete alle Töchter der Erde, und er dürfte nur bemerken, daß sein Ideal sich gern putzte, oder gar tanzte, so würde sein Herz brechen; noch schreck- licher, wenn sie das Unglück hätte, den Schnu- pfen zu bekommen.
Emil stand indessen wieder im Getümmel; aber plözlich überfiel ihn jene Angst, der Schreck, der so oft schon in solcher erregten Menschenmenge sein Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale und Hause, über die öden Gassen hinweg, und erst auf seinem einsamen Zimmer fand er sich und seine ruhige Besinnung wieder. Das Nachtlicht war schon angezündet, er hieß dem Bedienten sich nieder legen; drüben war alles still und finster, und er setzte sich, um in einem Gedichte seine Empfin- dungen über den Ball auszuströmen. --
Im Herzen war es stille, Der Wahnsinn lag an Ketten; Da regt sich böser Wille, Vom Kerker ihn zu retten, Den Tollen los zu machen; Da hört man Pauken klingen, Da bricht hervor mit Lachen Trommeten-Klang und Krachen, Dazwischen Flöten singen,
Erſte Abtheilung.
aller Aufgaben, denn er iſt ſo reizbar, daß man nur huſten, nicht edel genug eſſen, oder gar die Zaͤhne ſtochern darf, um ihn toͤdtlich zu beleidigen.
War er nie verliebt? fragte der Freund vom Lande.
Wen ſollte er lieben? antwortete Roderich, er verachtete alle Toͤchter der Erde, und er duͤrfte nur bemerken, daß ſein Ideal ſich gern putzte, oder gar tanzte, ſo wuͤrde ſein Herz brechen; noch ſchreck- licher, wenn ſie das Ungluͤck haͤtte, den Schnu- pfen zu bekommen.
Emil ſtand indeſſen wieder im Getuͤmmel; aber ploͤzlich uͤberfiel ihn jene Angſt, der Schreck, der ſo oft ſchon in ſolcher erregten Menſchenmenge ſein Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale und Hauſe, uͤber die oͤden Gaſſen hinweg, und erſt auf ſeinem einſamen Zimmer fand er ſich und ſeine ruhige Beſinnung wieder. Das Nachtlicht war ſchon angezuͤndet, er hieß dem Bedienten ſich nieder legen; druͤben war alles ſtill und finſter, und er ſetzte ſich, um in einem Gedichte ſeine Empfin- dungen uͤber den Ball auszuſtroͤmen. —
Im Herzen war es ſtille, Der Wahnſinn lag an Ketten; Da regt ſich boͤſer Wille, Vom Kerker ihn zu retten, Den Tollen los zu machen; Da hoͤrt man Pauken klingen, Da bricht hervor mit Lachen Trommeten-Klang und Krachen, Dazwiſchen Floͤten ſingen,
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Erſte Abtheilung.
aller Aufgaben, denn er iſt ſo reizbar, daß man
nur huſten, nicht edel genug eſſen, oder gar die
Zaͤhne ſtochern darf, um ihn toͤdtlich zu beleidigen.
War er nie verliebt? fragte der Freund vom
Lande.
Wen ſollte er lieben? antwortete Roderich, er
verachtete alle Toͤchter der Erde, und er duͤrfte
nur bemerken, daß ſein Ideal ſich gern putzte, oder
gar tanzte, ſo wuͤrde ſein Herz brechen; noch ſchreck-
licher, wenn ſie das Ungluͤck haͤtte, den Schnu-
pfen zu bekommen.
Emil ſtand indeſſen wieder im Getuͤmmel; aber
ploͤzlich uͤberfiel ihn jene Angſt, der Schreck, der
ſo oft ſchon in ſolcher erregten Menſchenmenge ſein
Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale
und Hauſe, uͤber die oͤden Gaſſen hinweg, und
erſt auf ſeinem einſamen Zimmer fand er ſich und
ſeine ruhige Beſinnung wieder. Das Nachtlicht
war ſchon angezuͤndet, er hieß dem Bedienten ſich
nieder legen; druͤben war alles ſtill und finſter, und
er ſetzte ſich, um in einem Gedichte ſeine Empfin-
dungen uͤber den Ball auszuſtroͤmen. —
Im Herzen war es ſtille,
Der Wahnſinn lag an Ketten;
Da regt ſich boͤſer Wille,
Vom Kerker ihn zu retten,
Den Tollen los zu machen;
Da hoͤrt man Pauken klingen,
Da bricht hervor mit Lachen
Trommeten-Klang und Krachen,
Dazwiſchen Floͤten ſingen,
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/303>, abgerufen am 25.11.2024.
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