getrieben haben: in der Tonwelt sind sie für mich die Gespenster, Larven und Furien, und so flattern sie mir auch ums Haupt, und grinsen mich mit entsezlichem Lachen an.
Nervenschwäche, sagte jener, so wie dein über- triebener Abscheu gegen Spinnen und manch ande- res unschuldiges Gewürm.
Unschuldig nennst du sie, sagte der Verstimmte, weil sie dir nicht zuwider sind. Für denjenigen aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab- scheus, dasselbe unnennbare Grauen, wie mir, bei ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch sein ganzes Wesen zuckt, sind diese gräßlichen Unthiere, wie Kröten und Spinnen, oder gar die widerwär- tigste aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich- gültig und unbedeutend, sondern ihr Daseyn ist dem seinigen auf das feindlichste entgegen gesetzt. Wahrlich, man möchte über die Ungläubigen lächeln, mit deren Imagination sich Gespenster und grau- enhafte Larven, sammt jenen Geburten der Nacht nicht vereinigen lassen, die wir in Krankheiten sehn, oder die uns Dantes Gemählde zeigen, da die gewöhnlichste Wirklichkeit um uns her die fürchter- lichen verzerrten Musterbilder dieser Schrecken uns vorhält. Sollten wir in der That das Schöne lieben können, ohne uns vor diesen Fratzen zu entsetzen?
Warum entsetzen? fragte Roderich, warum soll uns das große Reich der Gewässer und der Meere gerade diese Furchtbarkeit vorhalten, an die sich deine Vorstellung gewöhnt hat, und nicht viel- mehr seltsame, unterhaltende und poßirliche Ver-
Erſte Abtheilung.
getrieben haben: in der Tonwelt ſind ſie fuͤr mich die Geſpenſter, Larven und Furien, und ſo flattern ſie mir auch ums Haupt, und grinſen mich mit entſezlichem Lachen an.
Nervenſchwaͤche, ſagte jener, ſo wie dein uͤber- triebener Abſcheu gegen Spinnen und manch ande- res unſchuldiges Gewuͤrm.
Unſchuldig nennſt du ſie, ſagte der Verſtimmte, weil ſie dir nicht zuwider ſind. Fuͤr denjenigen aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab- ſcheus, daſſelbe unnennbare Grauen, wie mir, bei ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch ſein ganzes Weſen zuckt, ſind dieſe graͤßlichen Unthiere, wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr- tigſte aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich- guͤltig und unbedeutend, ſondern ihr Daſeyn iſt dem ſeinigen auf das feindlichſte entgegen geſetzt. Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln, mit deren Imagination ſich Geſpenſter und grau- enhafte Larven, ſammt jenen Geburten der Nacht nicht vereinigen laſſen, die wir in Krankheiten ſehn, oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die gewoͤhnlichſte Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter- lichen verzerrten Muſterbilder dieſer Schrecken uns vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben koͤnnen, ohne uns vor dieſen Fratzen zu entſetzen?
Warum entſetzen? fragte Roderich, warum ſoll uns das große Reich der Gewaͤſſer und der Meere gerade dieſe Furchtbarkeit vorhalten, an die ſich deine Vorſtellung gewoͤhnt hat, und nicht viel- mehr ſeltſame, unterhaltende und poßirliche Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0291"n="280"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
getrieben haben: in der Tonwelt ſind ſie fuͤr mich<lb/>
die Geſpenſter, Larven und Furien, und ſo flattern<lb/>ſie mir auch ums Haupt, und grinſen mich mit<lb/>
entſezlichem Lachen an.</p><lb/><p>Nervenſchwaͤche, ſagte jener, ſo wie dein uͤber-<lb/>
triebener Abſcheu gegen Spinnen und manch ande-<lb/>
res unſchuldiges Gewuͤrm.</p><lb/><p>Unſchuldig nennſt du ſie, ſagte der Verſtimmte,<lb/>
weil ſie dir nicht zuwider ſind. Fuͤr denjenigen<lb/>
aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab-<lb/>ſcheus, daſſelbe unnennbare Grauen, wie mir, bei<lb/>
ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch ſein<lb/>
ganzes Weſen zuckt, ſind dieſe graͤßlichen Unthiere,<lb/>
wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr-<lb/>
tigſte aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich-<lb/>
guͤltig und unbedeutend, ſondern ihr Daſeyn iſt<lb/>
dem ſeinigen auf das feindlichſte entgegen geſetzt.<lb/>
Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln,<lb/>
mit deren Imagination ſich Geſpenſter und grau-<lb/>
enhafte Larven, ſammt jenen Geburten der Nacht<lb/>
nicht vereinigen laſſen, die wir in Krankheiten ſehn,<lb/>
oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die<lb/>
gewoͤhnlichſte Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter-<lb/>
lichen verzerrten Muſterbilder dieſer Schrecken uns<lb/>
vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben<lb/>
koͤnnen, ohne uns vor dieſen Fratzen zu entſetzen?</p><lb/><p>Warum entſetzen? fragte Roderich, warum<lb/>ſoll uns das große Reich der Gewaͤſſer und der<lb/>
Meere gerade dieſe Furchtbarkeit vorhalten, an die<lb/>ſich deine Vorſtellung gewoͤhnt hat, und nicht viel-<lb/>
mehr ſeltſame, unterhaltende und poßirliche Ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[280/0291]
Erſte Abtheilung.
getrieben haben: in der Tonwelt ſind ſie fuͤr mich
die Geſpenſter, Larven und Furien, und ſo flattern
ſie mir auch ums Haupt, und grinſen mich mit
entſezlichem Lachen an.
Nervenſchwaͤche, ſagte jener, ſo wie dein uͤber-
triebener Abſcheu gegen Spinnen und manch ande-
res unſchuldiges Gewuͤrm.
Unſchuldig nennſt du ſie, ſagte der Verſtimmte,
weil ſie dir nicht zuwider ſind. Fuͤr denjenigen
aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab-
ſcheus, daſſelbe unnennbare Grauen, wie mir, bei
ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch ſein
ganzes Weſen zuckt, ſind dieſe graͤßlichen Unthiere,
wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr-
tigſte aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich-
guͤltig und unbedeutend, ſondern ihr Daſeyn iſt
dem ſeinigen auf das feindlichſte entgegen geſetzt.
Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln,
mit deren Imagination ſich Geſpenſter und grau-
enhafte Larven, ſammt jenen Geburten der Nacht
nicht vereinigen laſſen, die wir in Krankheiten ſehn,
oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die
gewoͤhnlichſte Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter-
lichen verzerrten Muſterbilder dieſer Schrecken uns
vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben
koͤnnen, ohne uns vor dieſen Fratzen zu entſetzen?
Warum entſetzen? fragte Roderich, warum
ſoll uns das große Reich der Gewaͤſſer und der
Meere gerade dieſe Furchtbarkeit vorhalten, an die
ſich deine Vorſtellung gewoͤhnt hat, und nicht viel-
mehr ſeltſame, unterhaltende und poßirliche Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/291>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.