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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
schnell, als er anfangs elastisch und begeistert gewe-
sen war, alles was ihn dann hinderte, war für
ihn kein Sporn, seinen Eifer zu vermehren, son-
dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was
er so hitzig unternommen hatte, so daß Roderich
alle seine Plane eben so ohne Ursach liegen ließ
und saumselig vergaß, als er sie unbesonnen unter-
nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß
beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer
Freundschaft den Tod zu drohen schien, doch war
vielleicht dasjenige, was sie dem Anscheine nach
trennte, nur das, was sie am innigsten verband;
beide liebten sich herzlich, aber beide fanden eine
große Genugthuung darin, daß einer über den an-
dern die gegründetsten Klagen führen konnte.

Emil, ein reicher junger Mann von reizba-
rem und melankolischem Temperament war nach
dem Tode seiner Eltern Herr seines Vermögens;
er hatte eine Reise angetreten, um sich auszubil-
den, befand sich aber nun schon seit einigen Mo-
naten in einer ansehnlichen Stadt, die Freuden
des Carnevals zu genießen, um welche er sich nie-
mals bemühte, um bedeutende Verabredungen über
sein Vermögen mit Verwandten zu treffen, die er
kaum noch besucht hatte. Unterwegs war er auf
den unsteten allzubeweglichen Roderich gestoßen, der
mit seinen Vormündern in Unfrieden lebte, und
um sich ganz von diesen und ihren lästigen Ver-
mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit
ergriff, welche ihm sein neuer Freund anbot, ihn
als Gefährten auf seiner Reise mitzunehmen. Auf

Erſte Abtheilung.
ſchnell, als er anfangs elaſtiſch und begeiſtert gewe-
ſen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr
ihn kein Sporn, ſeinen Eifer zu vermehren, ſon-
dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was
er ſo hitzig unternommen hatte, ſo daß Roderich
alle ſeine Plane eben ſo ohne Urſach liegen ließ
und ſaumſelig vergaß, als er ſie unbeſonnen unter-
nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß
beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer
Freundſchaft den Tod zu drohen ſchien, doch war
vielleicht dasjenige, was ſie dem Anſcheine nach
trennte, nur das, was ſie am innigſten verband;
beide liebten ſich herzlich, aber beide fanden eine
große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an-
dern die gegruͤndetſten Klagen fuͤhren konnte.

Emil, ein reicher junger Mann von reizba-
rem und melankoliſchem Temperament war nach
dem Tode ſeiner Eltern Herr ſeines Vermoͤgens;
er hatte eine Reiſe angetreten, um ſich auszubil-
den, befand ſich aber nun ſchon ſeit einigen Mo-
naten in einer anſehnlichen Stadt, die Freuden
des Carnevals zu genießen, um welche er ſich nie-
mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber
ſein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er
kaum noch beſucht hatte. Unterwegs war er auf
den unſteten allzubeweglichen Roderich geſtoßen, der
mit ſeinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und
um ſich ganz von dieſen und ihren laͤſtigen Ver-
mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit
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[274/0285] Erſte Abtheilung. ſchnell, als er anfangs elaſtiſch und begeiſtert gewe- ſen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr ihn kein Sporn, ſeinen Eifer zu vermehren, ſon- dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was er ſo hitzig unternommen hatte, ſo daß Roderich alle ſeine Plane eben ſo ohne Urſach liegen ließ und ſaumſelig vergaß, als er ſie unbeſonnen unter- nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer Freundſchaft den Tod zu drohen ſchien, doch war vielleicht dasjenige, was ſie dem Anſcheine nach trennte, nur das, was ſie am innigſten verband; beide liebten ſich herzlich, aber beide fanden eine große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an- dern die gegruͤndetſten Klagen fuͤhren konnte. Emil, ein reicher junger Mann von reizba- rem und melankoliſchem Temperament war nach dem Tode ſeiner Eltern Herr ſeines Vermoͤgens; er hatte eine Reiſe angetreten, um ſich auszubil- den, befand ſich aber nun ſchon ſeit einigen Mo- naten in einer anſehnlichen Stadt, die Freuden des Carnevals zu genießen, um welche er ſich nie- mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber ſein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er kaum noch beſucht hatte. Unterwegs war er auf den unſteten allzubeweglichen Roderich geſtoßen, der mit ſeinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und um ſich ganz von dieſen und ihren laͤſtigen Ver- mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit ergriff, welche ihm ſein neuer Freund anbot, ihn als Gefaͤhrten auf ſeiner Reiſe mitzunehmen. Auf

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/285>, abgerufen am 25.11.2024.