Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Runenberg.
Herberge kaum schlafen, so ungeduldig war ich,
die Gegend zu betreten, die ich für meine Heimath
ansah; mit dem Frühesten war ich munter und
wieder auf der Reise. Nachmittags befand ich
mich schon unter den vielgeliebten Bergen, und
wie ein Trunkner ging ich, stand dann eine Weile,
schaute rückwärts, und berauschte mich in allen
mir fremden und doch so wohlbekannten Gegen-
ständen. Bald verlor ich die Ebene hinter mir
aus dem Gesichte, die Waldströme rauschten mir
entgegen, Buchen und Eichen brausten mit beweg-
tem Laube von steilen Abhängen herunter; mein
Weg führte mich schwindlichten Abgründen vorüber,
blaue Berge standen groß und ehrwürdig im Hin-
tergrunde. Eine neue Welt war mir aufgeschlos-
sen, ich wurde nicht müde. So kam ich nach eini-
gen Tagen, indem ich einen großen Theil des Ge-
birges durchstreift hatte, zu einem alten Förster,
der mich auf mein inständiges Bitten zu sich nahm,
um mich in der Kunst der Jägerei zu unterrichten.
Jetzt bin ich seit drei Monaten in seinen Dien-
sten. Ich nahm von der Gegend, in der ich mei-
nen Aufenthalt hatte, wie von einem Königreiche
Besitz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des
Gebirges kennen, ich war in meiner Beschäftigung,
wenn wir am frühen Morgen nach dem Walde
zogen, wenn wir Bäume im Forste fällten, wenn
ich mein Auge und meine Büchse übte, und die
treuen Gefährten, die Hunde zu ihren Geschicklich-
keiten abrichtete, überaus glücklich. Jetzt sitze ich
seit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde,

Der Runenberg.
Herberge kaum ſchlafen, ſo ungeduldig war ich,
die Gegend zu betreten, die ich fuͤr meine Heimath
anſah; mit dem Fruͤheſten war ich munter und
wieder auf der Reiſe. Nachmittags befand ich
mich ſchon unter den vielgeliebten Bergen, und
wie ein Trunkner ging ich, ſtand dann eine Weile,
ſchaute ruͤckwaͤrts, und berauſchte mich in allen
mir fremden und doch ſo wohlbekannten Gegen-
ſtaͤnden. Bald verlor ich die Ebene hinter mir
aus dem Geſichte, die Waldſtroͤme rauſchten mir
entgegen, Buchen und Eichen brauſten mit beweg-
tem Laube von ſteilen Abhaͤngen herunter; mein
Weg fuͤhrte mich ſchwindlichten Abgruͤnden voruͤber,
blaue Berge ſtanden groß und ehrwuͤrdig im Hin-
tergrunde. Eine neue Welt war mir aufgeſchloſ-
ſen, ich wurde nicht muͤde. So kam ich nach eini-
gen Tagen, indem ich einen großen Theil des Ge-
birges durchſtreift hatte, zu einem alten Foͤrſter,
der mich auf mein inſtaͤndiges Bitten zu ſich nahm,
um mich in der Kunſt der Jaͤgerei zu unterrichten.
Jetzt bin ich ſeit drei Monaten in ſeinen Dien-
ſten. Ich nahm von der Gegend, in der ich mei-
nen Aufenthalt hatte, wie von einem Koͤnigreiche
Beſitz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des
Gebirges kennen, ich war in meiner Beſchaͤftigung,
wenn wir am fruͤhen Morgen nach dem Walde
zogen, wenn wir Baͤume im Forſte faͤllten, wenn
ich mein Auge und meine Buͤchſe uͤbte, und die
treuen Gefaͤhrten, die Hunde zu ihren Geſchicklich-
keiten abrichtete, uͤberaus gluͤcklich. Jetzt ſitze ich
ſeit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0256" n="245"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/>
Herberge kaum &#x017F;chlafen, &#x017F;o ungeduldig war ich,<lb/>
die Gegend zu betreten, die ich fu&#x0364;r meine Heimath<lb/>
an&#x017F;ah; mit dem Fru&#x0364;he&#x017F;ten war ich munter und<lb/>
wieder auf der Rei&#x017F;e. Nachmittags befand ich<lb/>
mich &#x017F;chon unter den vielgeliebten Bergen, und<lb/>
wie ein Trunkner ging ich, &#x017F;tand dann eine Weile,<lb/>
&#x017F;chaute ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts, und berau&#x017F;chte mich in allen<lb/>
mir fremden und doch &#x017F;o wohlbekannten Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden. Bald verlor ich die Ebene hinter mir<lb/>
aus dem Ge&#x017F;ichte, die Wald&#x017F;tro&#x0364;me rau&#x017F;chten mir<lb/>
entgegen, Buchen und Eichen brau&#x017F;ten mit beweg-<lb/>
tem Laube von &#x017F;teilen Abha&#x0364;ngen herunter; mein<lb/>
Weg fu&#x0364;hrte mich &#x017F;chwindlichten Abgru&#x0364;nden voru&#x0364;ber,<lb/>
blaue Berge &#x017F;tanden groß und ehrwu&#x0364;rdig im Hin-<lb/>
tergrunde. Eine neue Welt war mir aufge&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, ich wurde nicht mu&#x0364;de. So kam ich nach eini-<lb/>
gen Tagen, indem ich einen großen Theil des Ge-<lb/>
birges durch&#x017F;treift hatte, zu einem alten Fo&#x0364;r&#x017F;ter,<lb/>
der mich auf mein in&#x017F;ta&#x0364;ndiges Bitten zu &#x017F;ich nahm,<lb/>
um mich in der Kun&#x017F;t der Ja&#x0364;gerei zu unterrichten.<lb/>
Jetzt bin ich &#x017F;eit drei Monaten in &#x017F;einen Dien-<lb/>
&#x017F;ten. Ich nahm von der Gegend, in der ich mei-<lb/>
nen Aufenthalt hatte, wie von einem Ko&#x0364;nigreiche<lb/>
Be&#x017F;itz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des<lb/>
Gebirges kennen, ich war in meiner Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung,<lb/>
wenn wir am fru&#x0364;hen Morgen nach dem Walde<lb/>
zogen, wenn wir Ba&#x0364;ume im For&#x017F;te fa&#x0364;llten, wenn<lb/>
ich mein Auge und meine Bu&#x0364;ch&#x017F;e u&#x0364;bte, und die<lb/>
treuen Gefa&#x0364;hrten, die Hunde zu ihren Ge&#x017F;chicklich-<lb/>
keiten abrichtete, u&#x0364;beraus glu&#x0364;cklich. Jetzt &#x017F;itze ich<lb/>
&#x017F;eit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0256] Der Runenberg. Herberge kaum ſchlafen, ſo ungeduldig war ich, die Gegend zu betreten, die ich fuͤr meine Heimath anſah; mit dem Fruͤheſten war ich munter und wieder auf der Reiſe. Nachmittags befand ich mich ſchon unter den vielgeliebten Bergen, und wie ein Trunkner ging ich, ſtand dann eine Weile, ſchaute ruͤckwaͤrts, und berauſchte mich in allen mir fremden und doch ſo wohlbekannten Gegen- ſtaͤnden. Bald verlor ich die Ebene hinter mir aus dem Geſichte, die Waldſtroͤme rauſchten mir entgegen, Buchen und Eichen brauſten mit beweg- tem Laube von ſteilen Abhaͤngen herunter; mein Weg fuͤhrte mich ſchwindlichten Abgruͤnden voruͤber, blaue Berge ſtanden groß und ehrwuͤrdig im Hin- tergrunde. Eine neue Welt war mir aufgeſchloſ- ſen, ich wurde nicht muͤde. So kam ich nach eini- gen Tagen, indem ich einen großen Theil des Ge- birges durchſtreift hatte, zu einem alten Foͤrſter, der mich auf mein inſtaͤndiges Bitten zu ſich nahm, um mich in der Kunſt der Jaͤgerei zu unterrichten. Jetzt bin ich ſeit drei Monaten in ſeinen Dien- ſten. Ich nahm von der Gegend, in der ich mei- nen Aufenthalt hatte, wie von einem Koͤnigreiche Beſitz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des Gebirges kennen, ich war in meiner Beſchaͤftigung, wenn wir am fruͤhen Morgen nach dem Walde zogen, wenn wir Baͤume im Forſte faͤllten, wenn ich mein Auge und meine Buͤchſe uͤbte, und die treuen Gefaͤhrten, die Hunde zu ihren Geſchicklich- keiten abrichtete, uͤberaus gluͤcklich. Jetzt ſitze ich ſeit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/256
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/256>, abgerufen am 22.11.2024.