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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Der getreue Eckart.
meine Seelenkräfte nach der dunkeln Behausung
richte und mich hinunter zügle. Da gab ich mich
gefangen, um der Qualen, der wechselnden Entzü-
ckungen los zu werden. In der dunkelsten Nacht
bestieg ich einen hohen Berg und rief mit allen
Herzenskräften den Feind Gottes und der Men-
schen zu mir, so daß ich fühlte, er würde mir ge-
horchen müssen. Meine Worte zogen ihn herbei,
er stand plötzlich neben mir und ich empfand kein
Grauen. Da ging im Gespräch mit ihm der
Glaube an jenen wunderbaren Berg von neuem
in mir auf, und er lehrte mich ein Lied, das mich
von selbst auf die rechte Straße dahin führen
würde. Er verschwand, und ich war zum ersten-
mal, seit ich lebte, mit mir allein, denn nun ver-
stand ich meine abirrenden Gedanken, die aus dem
Mittelpunkte heraus strebten, um eine neue Welt
zu finden. Ich machte mich auf den Weg, und
das Lied, das ich mit lauter Stimme sang, führte
mich über wunderbare Einöden fort, und alles
übrige in mir und außer mir hatte ich vergessen;
es trug mich wie auf großen Flügeln der Sehn-
sucht nach meiner Heimath, ich wollte dem Schat-
ten entfliehen, der uns auch aus dem Glanze noch
dräut, den wilden Tönen, die noch in der zarte-
sten Musik auf uns schelten. So kam ich in einer
Nacht, als der Mond hinter dunklen Wolken matt
hervor schien, vor dem Berge an. Ich setzte mein
Lied fort, und eine Riesengestalt stand da und winkte
mich mit ihrem Stabe zurück. Ich ging näher.
Ich bin der getreue Eckart, rief die übermensch-

Der getreue Eckart.
meine Seelenkraͤfte nach der dunkeln Behauſung
richte und mich hinunter zuͤgle. Da gab ich mich
gefangen, um der Qualen, der wechſelnden Entzuͤ-
ckungen los zu werden. In der dunkelſten Nacht
beſtieg ich einen hohen Berg und rief mit allen
Herzenskraͤften den Feind Gottes und der Men-
ſchen zu mir, ſo daß ich fuͤhlte, er wuͤrde mir ge-
horchen muͤſſen. Meine Worte zogen ihn herbei,
er ſtand ploͤtzlich neben mir und ich empfand kein
Grauen. Da ging im Geſpraͤch mit ihm der
Glaube an jenen wunderbaren Berg von neuem
in mir auf, und er lehrte mich ein Lied, das mich
von ſelbſt auf die rechte Straße dahin fuͤhren
wuͤrde. Er verſchwand, und ich war zum erſten-
mal, ſeit ich lebte, mit mir allein, denn nun ver-
ſtand ich meine abirrenden Gedanken, die aus dem
Mittelpunkte heraus ſtrebten, um eine neue Welt
zu finden. Ich machte mich auf den Weg, und
das Lied, das ich mit lauter Stimme ſang, fuͤhrte
mich uͤber wunderbare Einoͤden fort, und alles
uͤbrige in mir und außer mir hatte ich vergeſſen;
es trug mich wie auf großen Fluͤgeln der Sehn-
ſucht nach meiner Heimath, ich wollte dem Schat-
ten entfliehen, der uns auch aus dem Glanze noch
draͤut, den wilden Toͤnen, die noch in der zarte-
ſten Muſik auf uns ſchelten. So kam ich in einer
Nacht, als der Mond hinter dunklen Wolken matt
hervor ſchien, vor dem Berge an. Ich ſetzte mein
Lied fort, und eine Rieſengeſtalt ſtand da und winkte
mich mit ihrem Stabe zuruͤck. Ich ging naͤher.
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[233/0244] Der getreue Eckart. meine Seelenkraͤfte nach der dunkeln Behauſung richte und mich hinunter zuͤgle. Da gab ich mich gefangen, um der Qualen, der wechſelnden Entzuͤ- ckungen los zu werden. In der dunkelſten Nacht beſtieg ich einen hohen Berg und rief mit allen Herzenskraͤften den Feind Gottes und der Men- ſchen zu mir, ſo daß ich fuͤhlte, er wuͤrde mir ge- horchen muͤſſen. Meine Worte zogen ihn herbei, er ſtand ploͤtzlich neben mir und ich empfand kein Grauen. Da ging im Geſpraͤch mit ihm der Glaube an jenen wunderbaren Berg von neuem in mir auf, und er lehrte mich ein Lied, das mich von ſelbſt auf die rechte Straße dahin fuͤhren wuͤrde. Er verſchwand, und ich war zum erſten- mal, ſeit ich lebte, mit mir allein, denn nun ver- ſtand ich meine abirrenden Gedanken, die aus dem Mittelpunkte heraus ſtrebten, um eine neue Welt zu finden. Ich machte mich auf den Weg, und das Lied, das ich mit lauter Stimme ſang, fuͤhrte mich uͤber wunderbare Einoͤden fort, und alles uͤbrige in mir und außer mir hatte ich vergeſſen; es trug mich wie auf großen Fluͤgeln der Sehn- ſucht nach meiner Heimath, ich wollte dem Schat- ten entfliehen, der uns auch aus dem Glanze noch draͤut, den wilden Toͤnen, die noch in der zarte- ſten Muſik auf uns ſchelten. So kam ich in einer Nacht, als der Mond hinter dunklen Wolken matt hervor ſchien, vor dem Berge an. Ich ſetzte mein Lied fort, und eine Rieſengeſtalt ſtand da und winkte mich mit ihrem Stabe zuruͤck. Ich ging naͤher. Ich bin der getreue Eckart, rief die uͤbermenſch-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/244>, abgerufen am 22.11.2024.