Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
verständnissen der neuern kleinlichen Geschicht-
schreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men-
schenstamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge-
bildet wird: alles dieses sollte wie in einem
Kunstwerke gelöst und ausgeführt werden. Den
edlen Stamm der Oesterreicher wollte ich gegen
den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in
ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden
Bergen den alten Frohsinn bewahren; die krie-
gerischen und fromm gläubigen Bayern loben,
die freundlichen, sinnvollen, erfindungsreichen
Schwaben im Garten ihres Landes schildern, von
denen schon ein alter Dichter singt:

Ich hab der Schwaben Würdigkeit
In fremden Landen wohl erfahren;

die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman-
tischen, vielfach wechselnden Umgebung, denen
damals ihr Bamberg ein deutsches Rom war;
die geistvollen Völker den herrlichen Rhein hin-
unter, die biederben Hessen, die schönen Thürin-
ger, deren Waldgebirge noch die Gestalt und
den Blick der alten Ritter aufbewahren; die
Niederdeutschen, die dem treuherzigen Holländer
und starken Engländer ähnlich sind: bei jeder
merkwürdigen Stelle unsrer vaterländischen Erde
wollte ich an die alte Geschichte erinnern, und
so dachte ich die lieben Thäler und Gebirge zu
durchwandeln, unser edles Land, einst so blühend
und groß, vom Rhein und der Donau und alten
Sagen durchrauscht, von hohen Bergen und alten

Einleitung.
verſtaͤndniſſen der neuern kleinlichen Geſchicht-
ſchreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men-
ſchenſtamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge-
bildet wird: alles dieſes ſollte wie in einem
Kunſtwerke geloͤſt und ausgefuͤhrt werden. Den
edlen Stamm der Oeſterreicher wollte ich gegen
den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in
ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden
Bergen den alten Frohſinn bewahren; die krie-
geriſchen und fromm glaͤubigen Bayern loben,
die freundlichen, ſinnvollen, erfindungsreichen
Schwaben im Garten ihres Landes ſchildern, von
denen ſchon ein alter Dichter ſingt:

Ich hab der Schwaben Wuͤrdigkeit
In fremden Landen wohl erfahren;

die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman-
tiſchen, vielfach wechſelnden Umgebung, denen
damals ihr Bamberg ein deutſches Rom war;
die geiſtvollen Voͤlker den herrlichen Rhein hin-
unter, die biederben Heſſen, die ſchoͤnen Thuͤrin-
ger, deren Waldgebirge noch die Geſtalt und
den Blick der alten Ritter aufbewahren; die
Niederdeutſchen, die dem treuherzigen Hollaͤnder
und ſtarken Englaͤnder aͤhnlich ſind: bei jeder
merkwuͤrdigen Stelle unſrer vaterlaͤndiſchen Erde
wollte ich an die alte Geſchichte erinnern, und
ſo dachte ich die lieben Thaͤler und Gebirge zu
durchwandeln, unſer edles Land, einſt ſo bluͤhend
und groß, vom Rhein und der Donau und alten
Sagen durchrauſcht, von hohen Bergen und alten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;en der neuern kleinlichen Ge&#x017F;chicht-<lb/>
&#x017F;chreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men-<lb/>
&#x017F;chen&#x017F;tamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge-<lb/>
bildet wird: alles die&#x017F;es &#x017F;ollte wie in einem<lb/>
Kun&#x017F;twerke gelo&#x0364;&#x017F;t und ausgefu&#x0364;hrt werden. Den<lb/>
edlen Stamm der Oe&#x017F;terreicher wollte ich gegen<lb/>
den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in<lb/>
ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden<lb/>
Bergen den alten Froh&#x017F;inn bewahren; die krie-<lb/>
geri&#x017F;chen und fromm gla&#x0364;ubigen Bayern loben,<lb/>
die freundlichen, &#x017F;innvollen, erfindungsreichen<lb/>
Schwaben im Garten ihres Landes &#x017F;childern, von<lb/>
denen &#x017F;chon ein alter Dichter &#x017F;ingt:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Ich hab der Schwaben Wu&#x0364;rdigkeit</l><lb/>
          <l>In fremden Landen wohl erfahren;</l>
        </lg><lb/>
        <p>die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman-<lb/>
ti&#x017F;chen, vielfach wech&#x017F;elnden Umgebung, denen<lb/>
damals ihr Bamberg ein deut&#x017F;ches Rom war;<lb/>
die gei&#x017F;tvollen Vo&#x0364;lker den herrlichen Rhein hin-<lb/>
unter, die biederben He&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;cho&#x0364;nen Thu&#x0364;rin-<lb/>
ger, deren Waldgebirge noch die Ge&#x017F;talt und<lb/>
den Blick der alten Ritter aufbewahren; die<lb/>
Niederdeut&#x017F;chen, die dem treuherzigen Holla&#x0364;nder<lb/>
und &#x017F;tarken Engla&#x0364;nder a&#x0364;hnlich &#x017F;ind: bei jeder<lb/>
merkwu&#x0364;rdigen Stelle un&#x017F;rer vaterla&#x0364;ndi&#x017F;chen Erde<lb/>
wollte ich an die alte Ge&#x017F;chichte erinnern, und<lb/>
&#x017F;o dachte ich die lieben Tha&#x0364;ler und Gebirge zu<lb/>
durchwandeln, un&#x017F;er edles Land, ein&#x017F;t &#x017F;o blu&#x0364;hend<lb/>
und groß, vom Rhein und der Donau und alten<lb/>
Sagen durchrau&#x017F;cht, von hohen Bergen und alten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0024] Einleitung. verſtaͤndniſſen der neuern kleinlichen Geſchicht- ſchreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men- ſchenſtamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge- bildet wird: alles dieſes ſollte wie in einem Kunſtwerke geloͤſt und ausgefuͤhrt werden. Den edlen Stamm der Oeſterreicher wollte ich gegen den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden Bergen den alten Frohſinn bewahren; die krie- geriſchen und fromm glaͤubigen Bayern loben, die freundlichen, ſinnvollen, erfindungsreichen Schwaben im Garten ihres Landes ſchildern, von denen ſchon ein alter Dichter ſingt: Ich hab der Schwaben Wuͤrdigkeit In fremden Landen wohl erfahren; die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman- tiſchen, vielfach wechſelnden Umgebung, denen damals ihr Bamberg ein deutſches Rom war; die geiſtvollen Voͤlker den herrlichen Rhein hin- unter, die biederben Heſſen, die ſchoͤnen Thuͤrin- ger, deren Waldgebirge noch die Geſtalt und den Blick der alten Ritter aufbewahren; die Niederdeutſchen, die dem treuherzigen Hollaͤnder und ſtarken Englaͤnder aͤhnlich ſind: bei jeder merkwuͤrdigen Stelle unſrer vaterlaͤndiſchen Erde wollte ich an die alte Geſchichte erinnern, und ſo dachte ich die lieben Thaͤler und Gebirge zu durchwandeln, unſer edles Land, einſt ſo bluͤhend und groß, vom Rhein und der Donau und alten Sagen durchrauſcht, von hohen Bergen und alten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/24
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/24>, abgerufen am 24.11.2024.