Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. nen Herrn schon seit lange gesucht hatte. Diedunkle Nacht lag noch über ihnen, und kein Stern- lein blickte zwischen den schwarzen Wolken hervor. Der Herzog fühlte sich schwächer, und wünschte eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht schlafen möchte, dabei zitterte er, auf den Eckart zu treffen, der wie ein Gespenst vor seiner Seele stand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben, und schauderte von neuem zusammen, wenn sich der Wind wieder in den hohen Bäumen regte, wenn der Sturm von unten herauf aus den Berg- schluften kam und über ihren Häuptern hinweg ging. Besteige, Wolfram, rief der Herzog in sei- ner Angst, diese hohe Tanne, und schaue umher, ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Hütte erspähst, zu der wir uns wenden mögen. Der Knappe kletterte mit Gefahr seines Le- Erſte Abtheilung. nen Herrn ſchon ſeit lange geſucht hatte. Diedunkle Nacht lag noch uͤber ihnen, und kein Stern- lein blickte zwiſchen den ſchwarzen Wolken hervor. Der Herzog fuͤhlte ſich ſchwaͤcher, und wuͤnſchte eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht ſchlafen moͤchte, dabei zitterte er, auf den Eckart zu treffen, der wie ein Geſpenſt vor ſeiner Seele ſtand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben, und ſchauderte von neuem zuſammen, wenn ſich der Wind wieder in den hohen Baͤumen regte, wenn der Sturm von unten herauf aus den Berg- ſchluften kam und uͤber ihren Haͤuptern hinweg ging. Beſteige, Wolfram, rief der Herzog in ſei- ner Angſt, dieſe hohe Tanne, und ſchaue umher, ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Huͤtte erſpaͤhſt, zu der wir uns wenden moͤgen. Der Knappe kletterte mit Gefahr ſeines Le- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0225" n="214"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> nen Herrn ſchon ſeit lange geſucht hatte. Die<lb/> dunkle Nacht lag noch uͤber ihnen, und kein Stern-<lb/> lein blickte zwiſchen den ſchwarzen Wolken hervor.<lb/> Der Herzog fuͤhlte ſich ſchwaͤcher, und wuͤnſchte<lb/> eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht<lb/> ſchlafen moͤchte, dabei zitterte er, auf den Eckart<lb/> zu treffen, der wie ein Geſpenſt vor ſeiner Seele<lb/> ſtand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben,<lb/> und ſchauderte von neuem zuſammen, wenn ſich<lb/> der Wind wieder in den hohen Baͤumen regte,<lb/> wenn der Sturm von unten herauf aus den Berg-<lb/> ſchluften kam und uͤber ihren Haͤuptern hinweg<lb/> ging. Beſteige, Wolfram, rief der Herzog in ſei-<lb/> ner Angſt, dieſe hohe Tanne, und ſchaue umher,<lb/> ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Huͤtte<lb/> erſpaͤhſt, zu der wir uns wenden moͤgen.</p><lb/> <p>Der Knappe kletterte mit Gefahr ſeines Le-<lb/> bens zum hohen Tannenbaum hinauf, den der<lb/> Sturm von einer Seite zur andern warf, und je zu-<lb/> weilen faſt bis zur Erde den Wipfel beugte, ſo daß<lb/> der Knappe wie ein Eichkaͤtzlein oben ſchwankte.<lb/> Endlich hatte er den Gipfel erklommen und rief:<lb/> Im Thal da unten ſeh' ich den Schein eines Lich-<lb/> tes, dorthin muͤſſen wir uns wenden! Sogleich<lb/> ſtieg er ab und zeigte den beiden den Weg, und<lb/> nach einiger Zeit ſahen alle den erfreulichen Schein,<lb/> woruͤber der Herzog anfing, ſich wieder wohl zu<lb/> gehaben. Eckart blieb immer ſtumm und in ſich<lb/> gekehrt, er ſprach kein Wort und ſchaute ſeinen<lb/> innern Gedanken zu. Als ſie vor der Huͤtte ſtan-<lb/> den klopften ſie an, und ein altes Muͤtterlein oͤff-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0225]
Erſte Abtheilung.
nen Herrn ſchon ſeit lange geſucht hatte. Die
dunkle Nacht lag noch uͤber ihnen, und kein Stern-
lein blickte zwiſchen den ſchwarzen Wolken hervor.
Der Herzog fuͤhlte ſich ſchwaͤcher, und wuͤnſchte
eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht
ſchlafen moͤchte, dabei zitterte er, auf den Eckart
zu treffen, der wie ein Geſpenſt vor ſeiner Seele
ſtand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben,
und ſchauderte von neuem zuſammen, wenn ſich
der Wind wieder in den hohen Baͤumen regte,
wenn der Sturm von unten herauf aus den Berg-
ſchluften kam und uͤber ihren Haͤuptern hinweg
ging. Beſteige, Wolfram, rief der Herzog in ſei-
ner Angſt, dieſe hohe Tanne, und ſchaue umher,
ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Huͤtte
erſpaͤhſt, zu der wir uns wenden moͤgen.
Der Knappe kletterte mit Gefahr ſeines Le-
bens zum hohen Tannenbaum hinauf, den der
Sturm von einer Seite zur andern warf, und je zu-
weilen faſt bis zur Erde den Wipfel beugte, ſo daß
der Knappe wie ein Eichkaͤtzlein oben ſchwankte.
Endlich hatte er den Gipfel erklommen und rief:
Im Thal da unten ſeh' ich den Schein eines Lich-
tes, dorthin muͤſſen wir uns wenden! Sogleich
ſtieg er ab und zeigte den beiden den Weg, und
nach einiger Zeit ſahen alle den erfreulichen Schein,
woruͤber der Herzog anfing, ſich wieder wohl zu
gehaben. Eckart blieb immer ſtumm und in ſich
gekehrt, er ſprach kein Wort und ſchaute ſeinen
innern Gedanken zu. Als ſie vor der Huͤtte ſtan-
den klopften ſie an, und ein altes Muͤtterlein oͤff-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |