Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.

In Gluth, wie sich die Glieder heben
Vom schönsten weiblichen Gebilde,
Sie schritt nun lächelnd zum Gefilde,
Und kam aus dunkelm Wald hervor
Wie Sonne durch des Morgens Thor,
Das goldne Haar in Wellen fließend,
Das lichte Aug' die Welt begrüßend,
Das rothe Lächeln Wonne streuend,
Des Leibes Glanz rings all erfreuend;
So wie die Augen leuchtend gingen
Die Blumen an zu blühen fingen,
Das Gras ward grüner, Wonnebeben
Schien Stein und Felsen zu beleben,
Die Wasser jauchzten, und im Innern
Bewegt' ein seliges Erinnern
Der Erbe allertiefstes Herz,
Demant erwuchs und Goldes-Erz.
Wer ist, fragt' ich, die dort regiert,
So zart und edel gliedmasirt,
Die Klare, Holde, Minniglich'?
Nenn' ihren Namen, Knabe, sprich!

Dir ist es also nicht bewußt,
Sprach Phantasus, in deiner Brust,
Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden,
Ich muß dir ihren Namen künden?
Die Liebe ist sie! Und alsbald
Kannt' ich die göttliche Gestalt,
Ich sprach im Flehn zu ihr: demüthig
Komm' ich zu dir, o sei mir gütig,
Wie du die ganze Welt beglückst,
In jedes Herz die Wonne schickst,

Erſte Abtheilung.

In Gluth, wie ſich die Glieder heben
Vom ſchoͤnſten weiblichen Gebilde,
Sie ſchritt nun laͤchelnd zum Gefilde,
Und kam aus dunkelm Wald hervor
Wie Sonne durch des Morgens Thor,
Das goldne Haar in Wellen fließend,
Das lichte Aug' die Welt begruͤßend,
Das rothe Laͤcheln Wonne ſtreuend,
Des Leibes Glanz rings all erfreuend;
So wie die Augen leuchtend gingen
Die Blumen an zu bluͤhen fingen,
Das Gras ward gruͤner, Wonnebeben
Schien Stein und Felſen zu beleben,
Die Waſſer jauchzten, und im Innern
Bewegt' ein ſeliges Erinnern
Der Erbe allertiefſtes Herz,
Demant erwuchs und Goldes-Erz.
Wer iſt, fragt' ich, die dort regiert,
So zart und edel gliedmaſirt,
Die Klare, Holde, Minniglich'?
Nenn' ihren Namen, Knabe, ſprich!

Dir iſt es alſo nicht bewußt,
Sprach Phantaſus, in deiner Bruſt,
Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden,
Ich muß dir ihren Namen kuͤnden?
Die Liebe iſt ſie! Und alsbald
Kannt' ich die goͤttliche Geſtalt,
Ich ſprach im Flehn zu ihr: demuͤthig
Komm' ich zu dir, o ſei mir guͤtig,
Wie du die ganze Welt begluͤckſt,
In jedes Herz die Wonne ſchickſt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="7">
              <pb facs="#f0173" n="162"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
              <l>In Gluth, wie &#x017F;ich die Glieder heben</l><lb/>
              <l>Vom &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten weiblichen Gebilde,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;chritt nun la&#x0364;chelnd zum Gefilde,</l><lb/>
              <l>Und kam aus dunkelm Wald hervor</l><lb/>
              <l>Wie Sonne durch des Morgens Thor,</l><lb/>
              <l>Das goldne Haar in Wellen fließend,</l><lb/>
              <l>Das lichte Aug' die Welt begru&#x0364;ßend,</l><lb/>
              <l>Das rothe La&#x0364;cheln Wonne &#x017F;treuend,</l><lb/>
              <l>Des Leibes Glanz rings all erfreuend;</l><lb/>
              <l>So wie die Augen leuchtend gingen</l><lb/>
              <l>Die Blumen an zu blu&#x0364;hen fingen,</l><lb/>
              <l>Das Gras ward gru&#x0364;ner, Wonnebeben</l><lb/>
              <l>Schien Stein und Fel&#x017F;en zu beleben,</l><lb/>
              <l>Die Wa&#x017F;&#x017F;er jauchzten, und im Innern</l><lb/>
              <l>Bewegt' ein &#x017F;eliges Erinnern</l><lb/>
              <l>Der Erbe allertief&#x017F;tes Herz,</l><lb/>
              <l>Demant erwuchs und Goldes-Erz.</l><lb/>
              <l>Wer i&#x017F;t, fragt' ich, die dort regiert,</l><lb/>
              <l>So zart und edel gliedma&#x017F;irt,</l><lb/>
              <l>Die Klare, Holde, Minniglich'?</l><lb/>
              <l>Nenn' ihren Namen, Knabe, &#x017F;prich!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Dir i&#x017F;t es al&#x017F;o nicht bewußt,</l><lb/>
              <l>Sprach Phanta&#x017F;us, in deiner Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden,</l><lb/>
              <l>Ich muß dir ihren Namen ku&#x0364;nden?</l><lb/>
              <l>Die Liebe i&#x017F;t &#x017F;ie! Und alsbald</l><lb/>
              <l>Kannt' ich die go&#x0364;ttliche Ge&#x017F;talt,</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;prach im Flehn zu ihr: demu&#x0364;thig</l><lb/>
              <l>Komm' ich zu dir, o &#x017F;ei mir gu&#x0364;tig,</l><lb/>
              <l>Wie du die ganze Welt beglu&#x0364;ck&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>In jedes Herz die Wonne &#x017F;chick&#x017F;t,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0173] Erſte Abtheilung. In Gluth, wie ſich die Glieder heben Vom ſchoͤnſten weiblichen Gebilde, Sie ſchritt nun laͤchelnd zum Gefilde, Und kam aus dunkelm Wald hervor Wie Sonne durch des Morgens Thor, Das goldne Haar in Wellen fließend, Das lichte Aug' die Welt begruͤßend, Das rothe Laͤcheln Wonne ſtreuend, Des Leibes Glanz rings all erfreuend; So wie die Augen leuchtend gingen Die Blumen an zu bluͤhen fingen, Das Gras ward gruͤner, Wonnebeben Schien Stein und Felſen zu beleben, Die Waſſer jauchzten, und im Innern Bewegt' ein ſeliges Erinnern Der Erbe allertiefſtes Herz, Demant erwuchs und Goldes-Erz. Wer iſt, fragt' ich, die dort regiert, So zart und edel gliedmaſirt, Die Klare, Holde, Minniglich'? Nenn' ihren Namen, Knabe, ſprich! Dir iſt es alſo nicht bewußt, Sprach Phantaſus, in deiner Bruſt, Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden, Ich muß dir ihren Namen kuͤnden? Die Liebe iſt ſie! Und alsbald Kannt' ich die goͤttliche Geſtalt, Ich ſprach im Flehn zu ihr: demuͤthig Komm' ich zu dir, o ſei mir guͤtig, Wie du die ganze Welt begluͤckſt, In jedes Herz die Wonne ſchickſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/173
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/173>, abgerufen am 24.11.2024.