Der sich nicht höherm Zweck vereint, Du aber, Knäblein, bist inmitten Der Bildung nicht mit fortgeschritten, Meinst noch, daß man nach Blum' und Kraut Und all den Kinderein ausschaut, Das hält man jetzt für Rauch und Dunst, Mein Sohn, die Zeit ist nicht wie sunst.
Der Knabe lacht', daß sich das Gold Der Locken in einander rollt, Und sprach: sonst hast mich wohl gekannt, Ich bin der Phantasus genannt, Heimathlich war ich sonst bei dir, Dein Spielgefährte für und für, Als du mich noch am Herzen hegtest Und väterlich und freundlich pflegtest, Da war dein Sinn anders gestellt, Mit dir zufrieden und der Welt War dir die Arbeit Luft und Scherz, Frisch und gesund dein junges Herz.
Mein Auge, sprach ich, ist wohl blind; Du also bist dasselbe Kind, Das täglich Blumen mir gebracht, Holdseliglich mich angelacht, Das mir verscherzt die muntern Stunden, Vielfältig Spielzeug mir erfunden? Seitdem bist du von mir entwichen Und anderwärts umher gestrichen, Da kamen Ernst, Vernunft, Verstand, Und gaben mir in meine Hand Der Bücher viel und mancherlei Voll tiefen Sinns, Philosophei,
Erſte Abtheilung.
Der ſich nicht hoͤherm Zweck vereint, Du aber, Knaͤblein, biſt inmitten Der Bildung nicht mit fortgeſchritten, Meinſt noch, daß man nach Blum' und Kraut Und all den Kinderein ausſchaut, Das haͤlt man jetzt fuͤr Rauch und Dunſt, Mein Sohn, die Zeit iſt nicht wie ſunſt.
Der Knabe lacht', daß ſich das Gold Der Locken in einander rollt, Und ſprach: ſonſt haſt mich wohl gekannt, Ich bin der Phantaſus genannt, Heimathlich war ich ſonſt bei dir, Dein Spielgefaͤhrte fuͤr und fuͤr, Als du mich noch am Herzen hegteſt Und vaͤterlich und freundlich pflegteſt, Da war dein Sinn anders geſtellt, Mit dir zufrieden und der Welt War dir die Arbeit Luft und Scherz, Friſch und geſund dein junges Herz.
Mein Auge, ſprach ich, iſt wohl blind; Du alſo biſt dasſelbe Kind, Das taͤglich Blumen mir gebracht, Holdſeliglich mich angelacht, Das mir verſcherzt die muntern Stunden, Vielfaͤltig Spielzeug mir erfunden? Seitdem biſt du von mir entwichen Und anderwaͤrts umher geſtrichen, Da kamen Ernſt, Vernunft, Verſtand, Und gaben mir in meine Hand Der Buͤcher viel und mancherlei Voll tiefen Sinns, Philoſophei,
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Erſte Abtheilung.
Der ſich nicht hoͤherm Zweck vereint,
Du aber, Knaͤblein, biſt inmitten
Der Bildung nicht mit fortgeſchritten,
Meinſt noch, daß man nach Blum' und Kraut
Und all den Kinderein ausſchaut,
Das haͤlt man jetzt fuͤr Rauch und Dunſt,
Mein Sohn, die Zeit iſt nicht wie ſunſt.
Der Knabe lacht', daß ſich das Gold
Der Locken in einander rollt,
Und ſprach: ſonſt haſt mich wohl gekannt,
Ich bin der Phantaſus genannt,
Heimathlich war ich ſonſt bei dir,
Dein Spielgefaͤhrte fuͤr und fuͤr,
Als du mich noch am Herzen hegteſt
Und vaͤterlich und freundlich pflegteſt,
Da war dein Sinn anders geſtellt,
Mit dir zufrieden und der Welt
War dir die Arbeit Luft und Scherz,
Friſch und geſund dein junges Herz.
Mein Auge, ſprach ich, iſt wohl blind;
Du alſo biſt dasſelbe Kind,
Das taͤglich Blumen mir gebracht,
Holdſeliglich mich angelacht,
Das mir verſcherzt die muntern Stunden,
Vielfaͤltig Spielzeug mir erfunden?
Seitdem biſt du von mir entwichen
Und anderwaͤrts umher geſtrichen,
Da kamen Ernſt, Vernunft, Verſtand,
Und gaben mir in meine Hand
Der Buͤcher viel und mancherlei
Voll tiefen Sinns, Philoſophei,
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/165>, abgerufen am 16.07.2024.
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