Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.

Der sich nicht höherm Zweck vereint,
Du aber, Knäblein, bist inmitten
Der Bildung nicht mit fortgeschritten,
Meinst noch, daß man nach Blum' und Kraut
Und all den Kinderein ausschaut,
Das hält man jetzt für Rauch und Dunst,
Mein Sohn, die Zeit ist nicht wie sunst.

Der Knabe lacht', daß sich das Gold
Der Locken in einander rollt,
Und sprach: sonst hast mich wohl gekannt,
Ich bin der Phantasus genannt,
Heimathlich war ich sonst bei dir,
Dein Spielgefährte für und für,
Als du mich noch am Herzen hegtest
Und väterlich und freundlich pflegtest,
Da war dein Sinn anders gestellt,
Mit dir zufrieden und der Welt
War dir die Arbeit Luft und Scherz,
Frisch und gesund dein junges Herz.
Mein Auge, sprach ich, ist wohl blind;
Du also bist dasselbe Kind,
Das täglich Blumen mir gebracht,
Holdseliglich mich angelacht,
Das mir verscherzt die muntern Stunden,
Vielfältig Spielzeug mir erfunden?
Seitdem bist du von mir entwichen
Und anderwärts umher gestrichen,
Da kamen Ernst, Vernunft, Verstand,
Und gaben mir in meine Hand
Der Bücher viel und mancherlei
Voll tiefen Sinns, Philosophei,

Erſte Abtheilung.

Der ſich nicht hoͤherm Zweck vereint,
Du aber, Knaͤblein, biſt inmitten
Der Bildung nicht mit fortgeſchritten,
Meinſt noch, daß man nach Blum' und Kraut
Und all den Kinderein ausſchaut,
Das haͤlt man jetzt fuͤr Rauch und Dunſt,
Mein Sohn, die Zeit iſt nicht wie ſunſt.

Der Knabe lacht', daß ſich das Gold
Der Locken in einander rollt,
Und ſprach: ſonſt haſt mich wohl gekannt,
Ich bin der Phantaſus genannt,
Heimathlich war ich ſonſt bei dir,
Dein Spielgefaͤhrte fuͤr und fuͤr,
Als du mich noch am Herzen hegteſt
Und vaͤterlich und freundlich pflegteſt,
Da war dein Sinn anders geſtellt,
Mit dir zufrieden und der Welt
War dir die Arbeit Luft und Scherz,
Friſch und geſund dein junges Herz.
Mein Auge, ſprach ich, iſt wohl blind;
Du alſo biſt dasſelbe Kind,
Das taͤglich Blumen mir gebracht,
Holdſeliglich mich angelacht,
Das mir verſcherzt die muntern Stunden,
Vielfaͤltig Spielzeug mir erfunden?
Seitdem biſt du von mir entwichen
Und anderwaͤrts umher geſtrichen,
Da kamen Ernſt, Vernunft, Verſtand,
Und gaben mir in meine Hand
Der Buͤcher viel und mancherlei
Voll tiefen Sinns, Philoſophei,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <pb facs="#f0165" n="154"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
              <l>Der &#x017F;ich nicht ho&#x0364;herm Zweck vereint,</l><lb/>
              <l>Du aber, Kna&#x0364;blein, bi&#x017F;t inmitten</l><lb/>
              <l>Der Bildung nicht mit fortge&#x017F;chritten,</l><lb/>
              <l>Mein&#x017F;t noch, daß man nach Blum' und Kraut</l><lb/>
              <l>Und all den Kinderein aus&#x017F;chaut,</l><lb/>
              <l>Das ha&#x0364;lt man jetzt fu&#x0364;r Rauch und Dun&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Mein Sohn, die Zeit i&#x017F;t nicht wie &#x017F;un&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Der Knabe lacht', daß &#x017F;ich das Gold</l><lb/>
              <l>Der Locken in einander rollt,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;prach: &#x017F;on&#x017F;t ha&#x017F;t mich wohl gekannt,</l><lb/>
              <l>Ich bin der Phanta&#x017F;us genannt,</l><lb/>
              <l>Heimathlich war ich &#x017F;on&#x017F;t bei dir,</l><lb/>
              <l>Dein Spielgefa&#x0364;hrte fu&#x0364;r und fu&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>Als du mich noch am Herzen hegte&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Und va&#x0364;terlich und freundlich pflegte&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Da war dein Sinn anders ge&#x017F;tellt,</l><lb/>
              <l>Mit dir zufrieden und der Welt</l><lb/>
              <l>War dir die Arbeit Luft und Scherz,</l><lb/>
              <l>Fri&#x017F;ch und ge&#x017F;und dein junges Herz.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Mein Auge, &#x017F;prach ich, i&#x017F;t wohl blind;</l><lb/>
              <l>Du al&#x017F;o bi&#x017F;t das&#x017F;elbe Kind,</l><lb/>
              <l>Das ta&#x0364;glich Blumen mir gebracht,</l><lb/>
              <l>Hold&#x017F;eliglich mich angelacht,</l><lb/>
              <l>Das mir ver&#x017F;cherzt die muntern Stunden,</l><lb/>
              <l>Vielfa&#x0364;ltig Spielzeug mir erfunden?</l><lb/>
              <l>Seitdem bi&#x017F;t du von mir entwichen</l><lb/>
              <l>Und anderwa&#x0364;rts umher ge&#x017F;trichen,</l><lb/>
              <l>Da kamen Ern&#x017F;t, Vernunft, Ver&#x017F;tand,</l><lb/>
              <l>Und gaben mir in meine Hand</l><lb/>
              <l>Der Bu&#x0364;cher viel und mancherlei</l><lb/>
              <l>Voll tiefen Sinns, Philo&#x017F;ophei,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0165] Erſte Abtheilung. Der ſich nicht hoͤherm Zweck vereint, Du aber, Knaͤblein, biſt inmitten Der Bildung nicht mit fortgeſchritten, Meinſt noch, daß man nach Blum' und Kraut Und all den Kinderein ausſchaut, Das haͤlt man jetzt fuͤr Rauch und Dunſt, Mein Sohn, die Zeit iſt nicht wie ſunſt. Der Knabe lacht', daß ſich das Gold Der Locken in einander rollt, Und ſprach: ſonſt haſt mich wohl gekannt, Ich bin der Phantaſus genannt, Heimathlich war ich ſonſt bei dir, Dein Spielgefaͤhrte fuͤr und fuͤr, Als du mich noch am Herzen hegteſt Und vaͤterlich und freundlich pflegteſt, Da war dein Sinn anders geſtellt, Mit dir zufrieden und der Welt War dir die Arbeit Luft und Scherz, Friſch und geſund dein junges Herz. Mein Auge, ſprach ich, iſt wohl blind; Du alſo biſt dasſelbe Kind, Das taͤglich Blumen mir gebracht, Holdſeliglich mich angelacht, Das mir verſcherzt die muntern Stunden, Vielfaͤltig Spielzeug mir erfunden? Seitdem biſt du von mir entwichen Und anderwaͤrts umher geſtrichen, Da kamen Ernſt, Vernunft, Verſtand, Und gaben mir in meine Hand Der Buͤcher viel und mancherlei Voll tiefen Sinns, Philoſophei,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/165
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/165>, abgerufen am 24.11.2024.