Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung sich zeigen dürfe, und hier finde ich Gelegenheit,an unser gestriges Gespräch über die Gärten zu erinnern, welche nach meiner Meinung abbrach, ohne zu beschließen. Die hohe Empfindung, welche uns der Anblick der Natur gewährt, sei es das Gefühl des Waldes, des Meeres oder Gebirges, läßt sich in keinen Garten ziehn, denn diese Gefühle sind wechselnd, unbeschränkt, un- aussprechlich. Diejenigen, welche in Parks das Seltsam-Schauerliche, oder das Erhaben- Ma- jestätische erregen wollten, haben sich im größ- ten Irrthume befunden, und es war natürlich, daß ihre Bestrebungen in Fratzen ausarten muß- ten. Das Schöne und Rührende ist es, wel- ches Hügel, Baumgruppen, kleine Flüsse Was- serfälle und Seen erregen können, ein schwärmen- des musikalisches Gefühl, welches ziemlich deut- lich den Künstler, welcher den Garten anlegen will, bewegen muß, und welches im Beschauen eben so widertönt. Dieser Gärtner wird also wohl die Natur, aber nicht das Natürliche aus- schließen, und darum zieht der Engländer gern kleine Saatfelder in seinen Park, um eine ganz bestimmte Empfindung von der beschränkten Be- schäftigung der Landwirthschaft zu erregen, ein kleiner Weinberg zeigt sich wohl auch, als ein reizendes Widerspiel der Haine und Baumgrup- pen. Wie mich nun zwar alles an die Natur erinnert, so kann ich sie doch hier so wenig wie im Gedicht oder in der Mahlerei unmittelbar Erſte Abtheilung ſich zeigen duͤrfe, und hier finde ich Gelegenheit,an unſer geſtriges Geſpraͤch uͤber die Gaͤrten zu erinnern, welche nach meiner Meinung abbrach, ohne zu beſchließen. Die hohe Empfindung, welche uns der Anblick der Natur gewaͤhrt, ſei es das Gefuͤhl des Waldes, des Meeres oder Gebirges, laͤßt ſich in keinen Garten ziehn, denn dieſe Gefuͤhle ſind wechſelnd, unbeſchraͤnkt, un- ausſprechlich. Diejenigen, welche in Parks das Seltſam-Schauerliche, oder das Erhaben- Ma- jeſtaͤtiſche erregen wollten, haben ſich im groͤß- ten Irrthume befunden, und es war natuͤrlich, daß ihre Beſtrebungen in Fratzen ausarten muß- ten. Das Schoͤne und Ruͤhrende iſt es, wel- ches Huͤgel, Baumgruppen, kleine Fluͤſſe Waſ- ſerfaͤlle und Seen erregen koͤnnen, ein ſchwaͤrmen- des muſikaliſches Gefuͤhl, welches ziemlich deut- lich den Kuͤnſtler, welcher den Garten anlegen will, bewegen muß, und welches im Beſchauen eben ſo widertoͤnt. Dieſer Gaͤrtner wird alſo wohl die Natur, aber nicht das Natuͤrliche aus- ſchließen, und darum zieht der Englaͤnder gern kleine Saatfelder in ſeinen Park, um eine ganz beſtimmte Empfindung von der beſchraͤnkten Be- ſchaͤftigung der Landwirthſchaft zu erregen, ein kleiner Weinberg zeigt ſich wohl auch, als ein reizendes Widerſpiel der Haine und Baumgrup- pen. Wie mich nun zwar alles an die Natur erinnert, ſo kann ich ſie doch hier ſo wenig wie im Gedicht oder in der Mahlerei unmittelbar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0153" n="142"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi></fw><lb/> ſich zeigen duͤrfe, und hier finde ich Gelegenheit,<lb/> an unſer geſtriges Geſpraͤch uͤber die Gaͤrten zu<lb/> erinnern, welche nach meiner Meinung abbrach,<lb/> ohne zu beſchließen. Die hohe Empfindung,<lb/> welche uns der Anblick der Natur gewaͤhrt, ſei<lb/> es das Gefuͤhl des Waldes, des Meeres oder<lb/> Gebirges, laͤßt ſich in keinen Garten ziehn, denn<lb/> dieſe Gefuͤhle ſind wechſelnd, unbeſchraͤnkt, un-<lb/> ausſprechlich. Diejenigen, welche in Parks das<lb/> Seltſam-Schauerliche, oder das Erhaben- Ma-<lb/> jeſtaͤtiſche erregen wollten, haben ſich im groͤß-<lb/> ten Irrthume befunden, und es war natuͤrlich,<lb/> daß ihre Beſtrebungen in Fratzen ausarten muß-<lb/> ten. Das Schoͤne und Ruͤhrende iſt es, wel-<lb/> ches Huͤgel, Baumgruppen, kleine Fluͤſſe Waſ-<lb/> ſerfaͤlle und Seen erregen koͤnnen, ein ſchwaͤrmen-<lb/> des muſikaliſches Gefuͤhl, welches ziemlich deut-<lb/> lich den Kuͤnſtler, welcher den Garten anlegen<lb/> will, bewegen muß, und welches im Beſchauen<lb/> eben ſo widertoͤnt. Dieſer Gaͤrtner wird alſo<lb/> wohl die Natur, aber nicht das Natuͤrliche aus-<lb/> ſchließen, und darum zieht der Englaͤnder gern<lb/> kleine Saatfelder in ſeinen Park, um eine ganz<lb/> beſtimmte Empfindung von der beſchraͤnkten Be-<lb/> ſchaͤftigung der Landwirthſchaft zu erregen, ein<lb/> kleiner Weinberg zeigt ſich wohl auch, als ein<lb/> reizendes Widerſpiel der Haine und Baumgrup-<lb/> pen. Wie mich nun zwar alles an die Natur<lb/> erinnert, ſo kann ich ſie doch hier ſo wenig wie<lb/> im Gedicht oder in der Mahlerei unmittelbar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [142/0153]
Erſte Abtheilung
ſich zeigen duͤrfe, und hier finde ich Gelegenheit,
an unſer geſtriges Geſpraͤch uͤber die Gaͤrten zu
erinnern, welche nach meiner Meinung abbrach,
ohne zu beſchließen. Die hohe Empfindung,
welche uns der Anblick der Natur gewaͤhrt, ſei
es das Gefuͤhl des Waldes, des Meeres oder
Gebirges, laͤßt ſich in keinen Garten ziehn, denn
dieſe Gefuͤhle ſind wechſelnd, unbeſchraͤnkt, un-
ausſprechlich. Diejenigen, welche in Parks das
Seltſam-Schauerliche, oder das Erhaben- Ma-
jeſtaͤtiſche erregen wollten, haben ſich im groͤß-
ten Irrthume befunden, und es war natuͤrlich,
daß ihre Beſtrebungen in Fratzen ausarten muß-
ten. Das Schoͤne und Ruͤhrende iſt es, wel-
ches Huͤgel, Baumgruppen, kleine Fluͤſſe Waſ-
ſerfaͤlle und Seen erregen koͤnnen, ein ſchwaͤrmen-
des muſikaliſches Gefuͤhl, welches ziemlich deut-
lich den Kuͤnſtler, welcher den Garten anlegen
will, bewegen muß, und welches im Beſchauen
eben ſo widertoͤnt. Dieſer Gaͤrtner wird alſo
wohl die Natur, aber nicht das Natuͤrliche aus-
ſchließen, und darum zieht der Englaͤnder gern
kleine Saatfelder in ſeinen Park, um eine ganz
beſtimmte Empfindung von der beſchraͤnkten Be-
ſchaͤftigung der Landwirthſchaft zu erregen, ein
kleiner Weinberg zeigt ſich wohl auch, als ein
reizendes Widerſpiel der Haine und Baumgrup-
pen. Wie mich nun zwar alles an die Natur
erinnert, ſo kann ich ſie doch hier ſo wenig wie
im Gedicht oder in der Mahlerei unmittelbar
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/153>, abgerufen am 16.07.2024. |