Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
den Junker Christoph; den liebenswürdigen Nar-
ren Theodor, und Friedrich den Sebastian, Ernst
den Antonio, Anton den Herzog; Auguste würde
zierlich und witzig die Marie geben, Rosalia
unvergleichlich die Viola und Clara höchst anmu-
thig die Olivia; alles übrige findet sich von selbst.

Wie kommt es nun, sagte Theodor, daß
eine geistreiche Gesellschaft, ohne Rollen auswen-
dig zu lernen, niemals auf den Gedanken ver-
fällt, aus sich selbst unter gewissen angenomme-
nen Bedingungen und Masken ein poetisches
Lustspiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwik-
kelung auszuführen? Der eine wäre der mür-
rische, mit sich und aller Welt unzufriedene Lieb-
haber, der andere der Eifersüchtige, jener der
leichtsinnig Flatterhafte, dieser der Melancholi-
sche; die Damen theilten sich in witzige und
zärtliche Charaktere, und alle suchten ihrer an-
genommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiter-
keit und Geselligkeit zu erregen und zu befördern.
Warum streben wir in unsern Gesellschaften im-
mer das eine ermüdende Bild eines negativen
wohlgezogenen Menschen darzustellen, oder uns
in hergebrachter Liebenswürdigkeit abzuquälen?

Die wahre gute Gesellschaft, sagte Ernst,
thut schon unbewußt das, was du verlangst;
und verwechselt auch mit Leichtigkeit die verschie-
denen Rollen. Sonst erinnert deine Beschrei-
bung an manche ehemaligen gelehrten Gesell-

Einleitung.
den Junker Chriſtoph; den liebenswuͤrdigen Nar-
ren Theodor, und Friedrich den Sebaſtian, Ernſt
den Antonio, Anton den Herzog; Auguſte wuͤrde
zierlich und witzig die Marie geben, Roſalia
unvergleichlich die Viola und Clara hoͤchſt anmu-
thig die Olivia; alles uͤbrige findet ſich von ſelbſt.

Wie kommt es nun, ſagte Theodor, daß
eine geiſtreiche Geſellſchaft, ohne Rollen auswen-
dig zu lernen, niemals auf den Gedanken ver-
faͤllt, aus ſich ſelbſt unter gewiſſen angenomme-
nen Bedingungen und Masken ein poetiſches
Luſtſpiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwik-
kelung auszufuͤhren? Der eine waͤre der muͤr-
riſche, mit ſich und aller Welt unzufriedene Lieb-
haber, der andere der Eiferſuͤchtige, jener der
leichtſinnig Flatterhafte, dieſer der Melancholi-
ſche; die Damen theilten ſich in witzige und
zaͤrtliche Charaktere, und alle ſuchten ihrer an-
genommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiter-
keit und Geſelligkeit zu erregen und zu befoͤrdern.
Warum ſtreben wir in unſern Geſellſchaften im-
mer das eine ermuͤdende Bild eines negativen
wohlgezogenen Menſchen darzuſtellen, oder uns
in hergebrachter Liebenswuͤrdigkeit abzuquaͤlen?

Die wahre gute Geſellſchaft, ſagte Ernſt,
thut ſchon unbewußt das, was du verlangſt;
und verwechſelt auch mit Leichtigkeit die verſchie-
denen Rollen. Sonſt erinnert deine Beſchrei-
bung an manche ehemaligen gelehrten Geſell-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0129" n="118"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
den Junker Chri&#x017F;toph; den liebenswu&#x0364;rdigen Nar-<lb/>
ren Theodor, und Friedrich den Seba&#x017F;tian, Ern&#x017F;t<lb/>
den Antonio, Anton den Herzog; Augu&#x017F;te wu&#x0364;rde<lb/>
zierlich und witzig die Marie geben, Ro&#x017F;alia<lb/>
unvergleichlich die Viola und Clara ho&#x0364;ch&#x017F;t anmu-<lb/>
thig die Olivia; alles u&#x0364;brige findet &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Wie kommt es nun, &#x017F;agte Theodor, daß<lb/>
eine gei&#x017F;treiche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, ohne Rollen auswen-<lb/>
dig zu lernen, niemals auf den Gedanken ver-<lb/>
fa&#x0364;llt, aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t unter gewi&#x017F;&#x017F;en angenomme-<lb/>
nen Bedingungen und Masken ein poeti&#x017F;ches<lb/>
Lu&#x017F;t&#x017F;piel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwik-<lb/>
kelung auszufu&#x0364;hren? Der eine wa&#x0364;re der mu&#x0364;r-<lb/>
ri&#x017F;che, mit &#x017F;ich und aller Welt unzufriedene Lieb-<lb/>
haber, der andere der Eifer&#x017F;u&#x0364;chtige, jener der<lb/>
leicht&#x017F;innig Flatterhafte, die&#x017F;er der Melancholi-<lb/>
&#x017F;che; die Damen theilten &#x017F;ich in witzige und<lb/>
za&#x0364;rtliche Charaktere, und alle &#x017F;uchten ihrer an-<lb/>
genommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiter-<lb/>
keit und Ge&#x017F;elligkeit zu erregen und zu befo&#x0364;rdern.<lb/>
Warum &#x017F;treben wir in un&#x017F;ern Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften im-<lb/>
mer das eine ermu&#x0364;dende Bild eines negativen<lb/>
wohlgezogenen Men&#x017F;chen darzu&#x017F;tellen, oder uns<lb/>
in hergebrachter Liebenswu&#x0364;rdigkeit abzuqua&#x0364;len?</p><lb/>
        <p>Die wahre gute Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, &#x017F;agte Ern&#x017F;t,<lb/>
thut &#x017F;chon unbewußt das, was du verlang&#x017F;t;<lb/>
und verwech&#x017F;elt auch mit Leichtigkeit die ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Rollen. Son&#x017F;t erinnert deine Be&#x017F;chrei-<lb/>
bung an manche ehemaligen gelehrten Ge&#x017F;ell-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0129] Einleitung. den Junker Chriſtoph; den liebenswuͤrdigen Nar- ren Theodor, und Friedrich den Sebaſtian, Ernſt den Antonio, Anton den Herzog; Auguſte wuͤrde zierlich und witzig die Marie geben, Roſalia unvergleichlich die Viola und Clara hoͤchſt anmu- thig die Olivia; alles uͤbrige findet ſich von ſelbſt. Wie kommt es nun, ſagte Theodor, daß eine geiſtreiche Geſellſchaft, ohne Rollen auswen- dig zu lernen, niemals auf den Gedanken ver- faͤllt, aus ſich ſelbſt unter gewiſſen angenomme- nen Bedingungen und Masken ein poetiſches Luſtſpiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwik- kelung auszufuͤhren? Der eine waͤre der muͤr- riſche, mit ſich und aller Welt unzufriedene Lieb- haber, der andere der Eiferſuͤchtige, jener der leichtſinnig Flatterhafte, dieſer der Melancholi- ſche; die Damen theilten ſich in witzige und zaͤrtliche Charaktere, und alle ſuchten ihrer an- genommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiter- keit und Geſelligkeit zu erregen und zu befoͤrdern. Warum ſtreben wir in unſern Geſellſchaften im- mer das eine ermuͤdende Bild eines negativen wohlgezogenen Menſchen darzuſtellen, oder uns in hergebrachter Liebenswuͤrdigkeit abzuquaͤlen? Die wahre gute Geſellſchaft, ſagte Ernſt, thut ſchon unbewußt das, was du verlangſt; und verwechſelt auch mit Leichtigkeit die verſchie- denen Rollen. Sonſt erinnert deine Beſchrei- bung an manche ehemaligen gelehrten Geſell-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/129
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/129>, abgerufen am 22.11.2024.