Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Aesthetik erwartet, und gerade hier habe ich nur
so wenig von ihm gefunden.

Dieses Gespräch, sagte Theodor, erinnert
mich an jene Unschuld des Komischen, welches
ich immer allen andern bedeutenderen Arten des
Lächerlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes
leichte Berühren aller Gegenstände, jenes gemüth-
liche Spiel mit allen Wesen und ihren Gedan-
ken und Empfindungen, welches neben seiner
kraftvollen kecken Darstellung einer der herrlich-
sten Vorzüge Shakspears ist, den man nicht
leicht demjenigen deutlich machen kann, der im
Witz nur eine Charade oder ein sinnreiches Räth-
sel sucht, und der aus der Anwendung und dem
Treffenden nach Außen erst rückwärts das Komi-
sche verstehen will, und dem es leere Albernheit
ist, wenn es ohne eine solche prosaische Bedeu-
tung auftreten will.

Von hier aus, meinte Wilibald, müsse es
eine vortrefliche Ausbeugung in das wahre Ge-
biet der Albernheit und in die Gründe ihrer
Rechtfertigung geben, denn diese triebe die Un-
schuld sogar so weit, daß sie selbst ohne alles
Leben und also vielleicht am meisten poetisch le-
bendig sei; doch Lothar, ohne auf diesen Angriff
zu achten, oder ihn zu bemerken, bemeisterte sich
des Gespräches und fuhr so fort: Da unser
ganzes Leben aus dem doppelten Bestreben be-
steht, uns in uns zu vertiefen, und uns selbst
zu vergessen und aus uns heraus zu gehn, und

Einleitung.
Aeſthetik erwartet, und gerade hier habe ich nur
ſo wenig von ihm gefunden.

Dieſes Geſpraͤch, ſagte Theodor, erinnert
mich an jene Unſchuld des Komiſchen, welches
ich immer allen andern bedeutenderen Arten des
Laͤcherlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes
leichte Beruͤhren aller Gegenſtaͤnde, jenes gemuͤth-
liche Spiel mit allen Weſen und ihren Gedan-
ken und Empfindungen, welches neben ſeiner
kraftvollen kecken Darſtellung einer der herrlich-
ſten Vorzuͤge Shakſpears iſt, den man nicht
leicht demjenigen deutlich machen kann, der im
Witz nur eine Charade oder ein ſinnreiches Raͤth-
ſel ſucht, und der aus der Anwendung und dem
Treffenden nach Außen erſt ruͤckwaͤrts das Komi-
ſche verſtehen will, und dem es leere Albernheit
iſt, wenn es ohne eine ſolche proſaiſche Bedeu-
tung auftreten will.

Von hier aus, meinte Wilibald, muͤſſe es
eine vortrefliche Ausbeugung in das wahre Ge-
biet der Albernheit und in die Gruͤnde ihrer
Rechtfertigung geben, denn dieſe triebe die Un-
ſchuld ſogar ſo weit, daß ſie ſelbſt ohne alles
Leben und alſo vielleicht am meiſten poetiſch le-
bendig ſei; doch Lothar, ohne auf dieſen Angriff
zu achten, oder ihn zu bemerken, bemeiſterte ſich
des Geſpraͤches und fuhr ſo fort: Da unſer
ganzes Leben aus dem doppelten Beſtreben be-
ſteht, uns in uns zu vertiefen, und uns ſelbſt
zu vergeſſen und aus uns heraus zu gehn, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="115"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
Ae&#x017F;thetik erwartet, und gerade hier habe ich nur<lb/>
&#x017F;o wenig von ihm gefunden.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es Ge&#x017F;pra&#x0364;ch, &#x017F;agte Theodor, erinnert<lb/>
mich an jene Un&#x017F;chuld des Komi&#x017F;chen, welches<lb/>
ich immer allen andern bedeutenderen Arten des<lb/>
La&#x0364;cherlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes<lb/>
leichte Beru&#x0364;hren aller Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, jenes gemu&#x0364;th-<lb/>
liche Spiel mit allen We&#x017F;en und ihren Gedan-<lb/>
ken und Empfindungen, welches neben &#x017F;einer<lb/>
kraftvollen kecken Dar&#x017F;tellung einer der herrlich-<lb/>
&#x017F;ten Vorzu&#x0364;ge Shak&#x017F;pears i&#x017F;t, den man nicht<lb/>
leicht demjenigen deutlich machen kann, der im<lb/>
Witz nur eine Charade oder ein &#x017F;innreiches Ra&#x0364;th-<lb/>
&#x017F;el &#x017F;ucht, und der aus der Anwendung und dem<lb/>
Treffenden nach Außen er&#x017F;t ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts das Komi-<lb/>
&#x017F;che ver&#x017F;tehen will, und dem es leere Albernheit<lb/>
i&#x017F;t, wenn es ohne eine &#x017F;olche pro&#x017F;ai&#x017F;che Bedeu-<lb/>
tung auftreten will.</p><lb/>
        <p>Von hier aus, meinte Wilibald, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e es<lb/>
eine vortrefliche Ausbeugung in das wahre Ge-<lb/>
biet der Albernheit und in die Gru&#x0364;nde ihrer<lb/>
Rechtfertigung geben, denn die&#x017F;e triebe die Un-<lb/>
&#x017F;chuld &#x017F;ogar &#x017F;o weit, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ohne alles<lb/>
Leben und al&#x017F;o vielleicht am mei&#x017F;ten poeti&#x017F;ch le-<lb/>
bendig &#x017F;ei; doch Lothar, ohne auf die&#x017F;en Angriff<lb/>
zu achten, oder ihn zu bemerken, bemei&#x017F;terte &#x017F;ich<lb/>
des Ge&#x017F;pra&#x0364;ches und fuhr &#x017F;o fort: Da un&#x017F;er<lb/>
ganzes Leben aus dem doppelten Be&#x017F;treben be-<lb/>
&#x017F;teht, uns in uns zu vertiefen, und uns &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu verge&#x017F;&#x017F;en und aus uns heraus zu gehn, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0126] Einleitung. Aeſthetik erwartet, und gerade hier habe ich nur ſo wenig von ihm gefunden. Dieſes Geſpraͤch, ſagte Theodor, erinnert mich an jene Unſchuld des Komiſchen, welches ich immer allen andern bedeutenderen Arten des Laͤcherlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes leichte Beruͤhren aller Gegenſtaͤnde, jenes gemuͤth- liche Spiel mit allen Weſen und ihren Gedan- ken und Empfindungen, welches neben ſeiner kraftvollen kecken Darſtellung einer der herrlich- ſten Vorzuͤge Shakſpears iſt, den man nicht leicht demjenigen deutlich machen kann, der im Witz nur eine Charade oder ein ſinnreiches Raͤth- ſel ſucht, und der aus der Anwendung und dem Treffenden nach Außen erſt ruͤckwaͤrts das Komi- ſche verſtehen will, und dem es leere Albernheit iſt, wenn es ohne eine ſolche proſaiſche Bedeu- tung auftreten will. Von hier aus, meinte Wilibald, muͤſſe es eine vortrefliche Ausbeugung in das wahre Ge- biet der Albernheit und in die Gruͤnde ihrer Rechtfertigung geben, denn dieſe triebe die Un- ſchuld ſogar ſo weit, daß ſie ſelbſt ohne alles Leben und alſo vielleicht am meiſten poetiſch le- bendig ſei; doch Lothar, ohne auf dieſen Angriff zu achten, oder ihn zu bemerken, bemeiſterte ſich des Geſpraͤches und fuhr ſo fort: Da unſer ganzes Leben aus dem doppelten Beſtreben be- ſteht, uns in uns zu vertiefen, und uns ſelbſt zu vergeſſen und aus uns heraus zu gehn, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/126
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/126>, abgerufen am 22.11.2024.