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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
schaft und Liebe und dadurch eins, so umgiebt
uns auch aus der Ferne das Angedenken edler
Freunde, und ihre Herzen sind vielleicht eben
jetzt hierher gewendet; aber auch den Abgeschie-
denen zieht unser Glaube andächtig zu unsern
Mahlen, Freuden und Scherzen, mit Sehnsucht,
Liebe und Freudenthränen herbei, und so be-
schließt sich am würdigsten ein heitrer Genuß;
der Tod ist keine Trennung, sein Antlitz ist nicht
furchtbar: opfert diese letzten Tropfen dem viel-
geliebten Novalis, dem Verkündiger der Reli-
gion, der Liebe und Unschuld, er ein ahndungs-
volles Morgenroth besserer Zukunft.

Rosalie stieß stillschweigend und gerührt mit
an: ihm sollen die Frauen danken, sprach sie
leise und bewegt. Alle erhuben sich, die Freunde
umarmten sich stürmisch und jedem standen Thrä-
nen in den Augen. Man ging schweigend in
den Garten.



Die Gesellschaft saß um den größten Spring-
brunnen, der in der Mitte des Gartens spielte,
horchte auf das liebliche Getön und fühlte in
dieser Pause kein Bedürfniß, das Gespräch fort
zu setzen; endlich sagte Clara: von allen Na-
turerscheinungen kommt mir das Wasser als die
wunderbarste vor, denn es ist nicht anders, wenn
man recht darauf sieht und hört, als wohne in
ihm ein uns befreundetes Wesen, das uns ver-
steht und sich uns mittheilen möchte, so klar

Einleitung.
ſchaft und Liebe und dadurch eins, ſo umgiebt
uns auch aus der Ferne das Angedenken edler
Freunde, und ihre Herzen ſind vielleicht eben
jetzt hierher gewendet; aber auch den Abgeſchie-
denen zieht unſer Glaube andaͤchtig zu unſern
Mahlen, Freuden und Scherzen, mit Sehnſucht,
Liebe und Freudenthraͤnen herbei, und ſo be-
ſchließt ſich am wuͤrdigſten ein heitrer Genuß;
der Tod iſt keine Trennung, ſein Antlitz iſt nicht
furchtbar: opfert dieſe letzten Tropfen dem viel-
geliebten Novalis, dem Verkuͤndiger der Reli-
gion, der Liebe und Unſchuld, er ein ahndungs-
volles Morgenroth beſſerer Zukunft.

Roſalie ſtieß ſtillſchweigend und geruͤhrt mit
an: ihm ſollen die Frauen danken, ſprach ſie
leiſe und bewegt. Alle erhuben ſich, die Freunde
umarmten ſich ſtuͤrmiſch und jedem ſtanden Thraͤ-
nen in den Augen. Man ging ſchweigend in
den Garten.



Die Geſellſchaft ſaß um den groͤßten Spring-
brunnen, der in der Mitte des Gartens ſpielte,
horchte auf das liebliche Getoͤn und fuͤhlte in
dieſer Pauſe kein Beduͤrfniß, das Geſpraͤch fort
zu ſetzen; endlich ſagte Clara: von allen Na-
turerſcheinungen kommt mir das Waſſer als die
wunderbarſte vor, denn es iſt nicht anders, wenn
man recht darauf ſieht und hoͤrt, als wohne in
ihm ein uns befreundetes Weſen, das uns ver-
ſteht und ſich uns mittheilen moͤchte, ſo klar

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[102/0113] Einleitung. ſchaft und Liebe und dadurch eins, ſo umgiebt uns auch aus der Ferne das Angedenken edler Freunde, und ihre Herzen ſind vielleicht eben jetzt hierher gewendet; aber auch den Abgeſchie- denen zieht unſer Glaube andaͤchtig zu unſern Mahlen, Freuden und Scherzen, mit Sehnſucht, Liebe und Freudenthraͤnen herbei, und ſo be- ſchließt ſich am wuͤrdigſten ein heitrer Genuß; der Tod iſt keine Trennung, ſein Antlitz iſt nicht furchtbar: opfert dieſe letzten Tropfen dem viel- geliebten Novalis, dem Verkuͤndiger der Reli- gion, der Liebe und Unſchuld, er ein ahndungs- volles Morgenroth beſſerer Zukunft. Roſalie ſtieß ſtillſchweigend und geruͤhrt mit an: ihm ſollen die Frauen danken, ſprach ſie leiſe und bewegt. Alle erhuben ſich, die Freunde umarmten ſich ſtuͤrmiſch und jedem ſtanden Thraͤ- nen in den Augen. Man ging ſchweigend in den Garten. Die Geſellſchaft ſaß um den groͤßten Spring- brunnen, der in der Mitte des Gartens ſpielte, horchte auf das liebliche Getoͤn und fuͤhlte in dieſer Pauſe kein Beduͤrfniß, das Geſpraͤch fort zu ſetzen; endlich ſagte Clara: von allen Na- turerſcheinungen kommt mir das Waſſer als die wunderbarſte vor, denn es iſt nicht anders, wenn man recht darauf ſieht und hoͤrt, als wohne in ihm ein uns befreundetes Weſen, das uns ver- ſteht und ſich uns mittheilen moͤchte, ſo klar

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/113>, abgerufen am 24.11.2024.