beschwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu seyn. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte und ward endlich gerührt. Ich weinte laut, und mir war zu Muthe, wie einem Kinde. -- Wil- ly's Bruder konnte sich über dessen Tod gar nicht zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien- ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er- tönte vom Klaggeschrei, Eduard war nicht zu- gegen.
Aber bald versiegten meine Thränen, ein kalter Haß ging durch mein Herz und durch meine ganze Brust, ich sah mich mit gleichgültigem Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie stünde, mit Schlangen in den Haaren. Ich wünschte sie alle herbey, und ich hätte mich vor keiner entsetzt. -- Ich berechnete jetzt, wie lan- ge der Schmerz wohl noch in allen diesen Men- schen kämpfen würde, und es war interessant zu beobachten, wie nach und nach die gewöhnliche Trägheit zu jedem zurückkehrte. Sie erschienen mir nun wie unbeholfene Maschinen, die an groben Fäden bewegt werden, sie drehen die verschiedenen Gliedmaßen nach vorgeschriebenen Regeln, und setzen sich dann wieder in Ruhe. Keiner schien mir lebendig und ich ging kalt auf
beſchwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu ſeyn. Ich wußte nicht, was ich ſagen ſollte und ward endlich geruͤhrt. Ich weinte laut, und mir war zu Muthe, wie einem Kinde. — Wil- ly's Bruder konnte ſich uͤber deſſen Tod gar nicht zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien- ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er- toͤnte vom Klaggeſchrei, Eduard war nicht zu- gegen.
Aber bald verſiegten meine Thraͤnen, ein kalter Haß ging durch mein Herz und durch meine ganze Bruſt, ich ſah mich mit gleichguͤltigem Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie ſtuͤnde, mit Schlangen in den Haaren. Ich wuͤnſchte ſie alle herbey, und ich haͤtte mich vor keiner entſetzt. — Ich berechnete jetzt, wie lan- ge der Schmerz wohl noch in allen dieſen Men- ſchen kaͤmpfen wuͤrde, und es war intereſſant zu beobachten, wie nach und nach die gewoͤhnliche Traͤgheit zu jedem zuruͤckkehrte. Sie erſchienen mir nun wie unbeholfene Maſchinen, die an groben Faͤden bewegt werden, ſie drehen die verſchiedenen Gliedmaßen nach vorgeſchriebenen Regeln, und ſetzen ſich dann wieder in Ruhe. Keiner ſchien mir lebendig und ich ging kalt auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0093"n="86"/>
beſchwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu<lb/>ſeyn. Ich wußte nicht, was ich ſagen ſollte und<lb/>
ward endlich geruͤhrt. Ich weinte laut, und<lb/>
mir war zu Muthe, wie einem Kinde. — Wil-<lb/>
ly's Bruder konnte ſich uͤber deſſen Tod gar nicht<lb/>
zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien-<lb/>
ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er-<lb/>
toͤnte vom Klaggeſchrei, Eduard war nicht zu-<lb/>
gegen.</p><lb/><p>Aber bald verſiegten meine Thraͤnen, ein kalter<lb/>
Haß ging durch mein Herz und durch meine<lb/>
ganze Bruſt, ich ſah mich mit gleichguͤltigem<lb/>
Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie<lb/>ſtuͤnde, mit Schlangen in den Haaren. Ich<lb/>
wuͤnſchte ſie alle herbey, und ich haͤtte mich vor<lb/>
keiner entſetzt. — Ich berechnete jetzt, wie lan-<lb/>
ge der Schmerz wohl noch in allen dieſen Men-<lb/>ſchen kaͤmpfen wuͤrde, und es war intereſſant zu<lb/>
beobachten, wie nach und nach die gewoͤhnliche<lb/>
Traͤgheit zu jedem zuruͤckkehrte. Sie erſchienen<lb/>
mir nun wie unbeholfene Maſchinen, die an<lb/>
groben Faͤden bewegt werden, ſie drehen die<lb/>
verſchiedenen Gliedmaßen nach vorgeſchriebenen<lb/>
Regeln, und ſetzen ſich dann wieder in Ruhe.<lb/>
Keiner ſchien mir lebendig und ich ging kalt auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[86/0093]
beſchwur mich auf meine Seeligkeit bedacht zu
ſeyn. Ich wußte nicht, was ich ſagen ſollte und
ward endlich geruͤhrt. Ich weinte laut, und
mir war zu Muthe, wie einem Kinde. — Wil-
ly's Bruder konnte ſich uͤber deſſen Tod gar nicht
zufrieden geben, er heulte laut und die Bedien-
ten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer er-
toͤnte vom Klaggeſchrei, Eduard war nicht zu-
gegen.
Aber bald verſiegten meine Thraͤnen, ein kalter
Haß ging durch mein Herz und durch meine
ganze Bruſt, ich ſah mich mit gleichguͤltigem
Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie
ſtuͤnde, mit Schlangen in den Haaren. Ich
wuͤnſchte ſie alle herbey, und ich haͤtte mich vor
keiner entſetzt. — Ich berechnete jetzt, wie lan-
ge der Schmerz wohl noch in allen dieſen Men-
ſchen kaͤmpfen wuͤrde, und es war intereſſant zu
beobachten, wie nach und nach die gewoͤhnliche
Traͤgheit zu jedem zuruͤckkehrte. Sie erſchienen
mir nun wie unbeholfene Maſchinen, die an
groben Faͤden bewegt werden, ſie drehen die
verſchiedenen Gliedmaßen nach vorgeſchriebenen
Regeln, und ſetzen ſich dann wieder in Ruhe.
Keiner ſchien mir lebendig und ich ging kalt auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/93>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.