diese durften nur mehr ahnden, als sie über- zeugt seyn konnten.
Ich fürchtete anfangs, daß klügere Men- schen meinem Plane auf den Grund sehn möch- ten, allein diese Besorgniß fand ich in der Folge sehr ungegründet. Sobald man sich nur selbst für gescheidter hält, als die übrigen Menschen, finden es diese auch selbst so. Man muß sich nur nicht hingeben, sondern sich recht kostbar machen, nie ganz vertraut werden, son- dern immer noch mit tausend Gedanken zurück- zuhalten scheinen, so geräth jeder Beobachter in eine gewisse Verwirrung, sein Urtheil ist wenigstens nicht sicher, und damit ist schon alles gewonnen. Jeder wird suchen, einem solchen wunderbaren Menschen näher zu kom- men, und um ihn zu studiren wird man es unterlassen, ihn zu beobachten: selbst der scharf- sinnigste Kopf wird besorgt seyn, daß jener schon alle seine Ideen habe, und jede Wider- legung bey ihm in Bereitschaft stehe. Alle werden auf die Art die Eigenschaften zu besiz- zen streben, die sie jenem zutrauen, und so werden sie am Ende selbst die Fähigkeit verlie- ren, eine vernünftige Beobachtung anzustellen.
dieſe durften nur mehr ahnden, als ſie uͤber- zeugt ſeyn konnten.
Ich fuͤrchtete anfangs, daß kluͤgere Men- ſchen meinem Plane auf den Grund ſehn moͤch- ten, allein dieſe Beſorgniß fand ich in der Folge ſehr ungegruͤndet. Sobald man ſich nur ſelbſt fuͤr geſcheidter haͤlt, als die uͤbrigen Menſchen, finden es dieſe auch ſelbſt ſo. Man muß ſich nur nicht hingeben, ſondern ſich recht koſtbar machen, nie ganz vertraut werden, ſon- dern immer noch mit tauſend Gedanken zuruͤck- zuhalten ſcheinen, ſo geraͤth jeder Beobachter in eine gewiſſe Verwirrung, ſein Urtheil iſt wenigſtens nicht ſicher, und damit iſt ſchon alles gewonnen. Jeder wird ſuchen, einem ſolchen wunderbaren Menſchen naͤher zu kom- men, und um ihn zu ſtudiren wird man es unterlaſſen, ihn zu beobachten: ſelbſt der ſcharf- ſinnigſte Kopf wird beſorgt ſeyn, daß jener ſchon alle ſeine Ideen habe, und jede Wider- legung bey ihm in Bereitſchaft ſtehe. Alle werden auf die Art die Eigenſchaften zu beſiz- zen ſtreben, die ſie jenem zutrauen, und ſo werden ſie am Ende ſelbſt die Faͤhigkeit verlie- ren, eine vernuͤnftige Beobachtung anzuſtellen.
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dieſe durften nur mehr ahnden, als ſie uͤber-
zeugt ſeyn konnten.
Ich fuͤrchtete anfangs, daß kluͤgere Men-
ſchen meinem Plane auf den Grund ſehn moͤch-
ten, allein dieſe Beſorgniß fand ich in der
Folge ſehr ungegruͤndet. Sobald man ſich nur
ſelbſt fuͤr geſcheidter haͤlt, als die uͤbrigen
Menſchen, finden es dieſe auch ſelbſt ſo. Man
muß ſich nur nicht hingeben, ſondern ſich recht
koſtbar machen, nie ganz vertraut werden, ſon-
dern immer noch mit tauſend Gedanken zuruͤck-
zuhalten ſcheinen, ſo geraͤth jeder Beobachter
in eine gewiſſe Verwirrung, ſein Urtheil iſt
wenigſtens nicht ſicher, und damit iſt ſchon
alles gewonnen. Jeder wird ſuchen, einem
ſolchen wunderbaren Menſchen naͤher zu kom-
men, und um ihn zu ſtudiren wird man es
unterlaſſen, ihn zu beobachten: ſelbſt der ſcharf-
ſinnigſte Kopf wird beſorgt ſeyn, daß jener
ſchon alle ſeine Ideen habe, und jede Wider-
legung bey ihm in Bereitſchaft ſtehe. Alle
werden auf die Art die Eigenſchaften zu beſiz-
zen ſtreben, die ſie jenem zutrauen, und ſo
werden ſie am Ende ſelbſt die Faͤhigkeit verlie-
ren, eine vernuͤnftige Beobachtung anzuſtellen.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/452>, abgerufen am 22.11.2024.
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