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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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lorne wieder zu gewinnen. Ich hätte in Lon-
don eine Zeitlang bleiben können, aber ich war
es müde, Anekdoten zu erzählen, oder hin und
her zu schwatzen, und mich abzuquälen, um
einen witzigen Einfall zusammenzubringen. Die
Menschen hatten mir selbst den Muth genom-
men, zu schmeicheln, um so ein kümmerliches
Daseyn durchzuschleppen.

Und mit Mariens Vermögen hätt' ich so
gemächlich und so bequem leben können, sie
hätte mich doch vielleicht endlich geliebt, denn
es war unmöglich, daß der abgeschmackte, geist-
lose Lovell sie so innig wie ich lieben konnte;
er allein war die Ursache meines Elendes. --
So sprach ich oft mit mir selber, und mein
Ingrimm ward durch die Menschen erhoben,
auf die ich stieß.

Ich reiste wieder nach Frankreich, und
vermied die Gesellschaft der Menschen soviel
als möglich. Im Schatten von rauschenden
Wäldern überlas ich nun oft alle die Erfahrun-
gen, die ich in meinem Gedächtnisse aufbe-
wahrt hatte, es thaten sich viele Lichter da
hervor, wo bis jetzt in meiner Seele dickes
Dunkel, oder verworrene Dämmerung geherrscht

lorne wieder zu gewinnen. Ich haͤtte in Lon-
don eine Zeitlang bleiben koͤnnen, aber ich war
es muͤde, Anekdoten zu erzaͤhlen, oder hin und
her zu ſchwatzen, und mich abzuquaͤlen, um
einen witzigen Einfall zuſammenzubringen. Die
Menſchen hatten mir ſelbſt den Muth genom-
men, zu ſchmeicheln, um ſo ein kuͤmmerliches
Daſeyn durchzuſchleppen.

Und mit Mariens Vermoͤgen haͤtt' ich ſo
gemaͤchlich und ſo bequem leben koͤnnen, ſie
haͤtte mich doch vielleicht endlich geliebt, denn
es war unmoͤglich, daß der abgeſchmackte, geiſt-
loſe Lovell ſie ſo innig wie ich lieben konnte;
er allein war die Urſache meines Elendes. —
So ſprach ich oft mit mir ſelber, und mein
Ingrimm ward durch die Menſchen erhoben,
auf die ich ſtieß.

Ich reiſte wieder nach Frankreich, und
vermied die Geſellſchaft der Menſchen ſoviel
als moͤglich. Im Schatten von rauſchenden
Waͤldern uͤberlas ich nun oft alle die Erfahrun-
gen, die ich in meinem Gedaͤchtniſſe aufbe-
wahrt hatte, es thaten ſich viele Lichter da
hervor, wo bis jetzt in meiner Seele dickes
Dunkel, oder verworrene Daͤmmerung geherrſcht

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[431/0438] lorne wieder zu gewinnen. Ich haͤtte in Lon- don eine Zeitlang bleiben koͤnnen, aber ich war es muͤde, Anekdoten zu erzaͤhlen, oder hin und her zu ſchwatzen, und mich abzuquaͤlen, um einen witzigen Einfall zuſammenzubringen. Die Menſchen hatten mir ſelbſt den Muth genom- men, zu ſchmeicheln, um ſo ein kuͤmmerliches Daſeyn durchzuſchleppen. Und mit Mariens Vermoͤgen haͤtt' ich ſo gemaͤchlich und ſo bequem leben koͤnnen, ſie haͤtte mich doch vielleicht endlich geliebt, denn es war unmoͤglich, daß der abgeſchmackte, geiſt- loſe Lovell ſie ſo innig wie ich lieben konnte; er allein war die Urſache meines Elendes. — So ſprach ich oft mit mir ſelber, und mein Ingrimm ward durch die Menſchen erhoben, auf die ich ſtieß. Ich reiſte wieder nach Frankreich, und vermied die Geſellſchaft der Menſchen ſoviel als moͤglich. Im Schatten von rauſchenden Waͤldern uͤberlas ich nun oft alle die Erfahrun- gen, die ich in meinem Gedaͤchtniſſe aufbe- wahrt hatte, es thaten ſich viele Lichter da hervor, wo bis jetzt in meiner Seele dickes Dunkel, oder verworrene Daͤmmerung geherrſcht

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/438>, abgerufen am 22.11.2024.