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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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wiedergefunden. Es sind nur Stückwerke, jäm-
merliche Fragmente, wenn ich andre Menschen
davon reden höre, ihre Phantasie hat es nicht
gewagt, sich ganz in den reinen Aetherstrom
der Liebe unterzutauchen, sie haben immer noch
ängstlich zur dürren Erde zurückgeblickt, als sie
sich von den allmächtigen Fittigen aufwärts ge-
tragen fühlten. -- Meinem Ohre gab die
ganze Natur jetzt nur einen einzigen Ton an,
es war als wenn die Poesie mit himmelbreiten
Flügeln über die Welt hinrauschte, und Sonne,
Mond und Sterne anrührte, daß sie tönten:
alles Volk stand unten und staunte aufwärts,
vom neuen Glanz, von der nie gehörten Har-
monie betäubt und verzaubert.

Ohne daß ich oft vernahm, was sie sagte,
konnte mich der bloße Ton ihrer Stimme in
Entzücken versetzen, alle meine Gedanken schlie-
fen gleichsam in Blumen und in süßen Tönen,
meine Seele ruhte in der ihrigen aus, und in
einem Elemente, das für den Menschen zu fein
ist, schwamm und spielte ich umher.

Meine übrigen Freundinnen sahen nun mit
Hohngelächter auf mich hinab, sie gaben mich
verloren und meinten, ich werde nun eben so

wiedergefunden. Es ſind nur Stuͤckwerke, jaͤm-
merliche Fragmente, wenn ich andre Menſchen
davon reden hoͤre, ihre Phantaſie hat es nicht
gewagt, ſich ganz in den reinen Aetherſtrom
der Liebe unterzutauchen, ſie haben immer noch
aͤngſtlich zur duͤrren Erde zuruͤckgeblickt, als ſie
ſich von den allmaͤchtigen Fittigen aufwaͤrts ge-
tragen fuͤhlten. — Meinem Ohre gab die
ganze Natur jetzt nur einen einzigen Ton an,
es war als wenn die Poeſie mit himmelbreiten
Fluͤgeln uͤber die Welt hinrauſchte, und Sonne,
Mond und Sterne anruͤhrte, daß ſie toͤnten:
alles Volk ſtand unten und ſtaunte aufwaͤrts,
vom neuen Glanz, von der nie gehoͤrten Har-
monie betaͤubt und verzaubert.

Ohne daß ich oft vernahm, was ſie ſagte,
konnte mich der bloße Ton ihrer Stimme in
Entzuͤcken verſetzen, alle meine Gedanken ſchlie-
fen gleichſam in Blumen und in ſuͤßen Toͤnen,
meine Seele ruhte in der ihrigen aus, und in
einem Elemente, das fuͤr den Menſchen zu fein
iſt, ſchwamm und ſpielte ich umher.

Meine uͤbrigen Freundinnen ſahen nun mit
Hohngelaͤchter auf mich hinab, ſie gaben mich
verloren und meinten, ich werde nun eben ſo

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[409/0416] wiedergefunden. Es ſind nur Stuͤckwerke, jaͤm- merliche Fragmente, wenn ich andre Menſchen davon reden hoͤre, ihre Phantaſie hat es nicht gewagt, ſich ganz in den reinen Aetherſtrom der Liebe unterzutauchen, ſie haben immer noch aͤngſtlich zur duͤrren Erde zuruͤckgeblickt, als ſie ſich von den allmaͤchtigen Fittigen aufwaͤrts ge- tragen fuͤhlten. — Meinem Ohre gab die ganze Natur jetzt nur einen einzigen Ton an, es war als wenn die Poeſie mit himmelbreiten Fluͤgeln uͤber die Welt hinrauſchte, und Sonne, Mond und Sterne anruͤhrte, daß ſie toͤnten: alles Volk ſtand unten und ſtaunte aufwaͤrts, vom neuen Glanz, von der nie gehoͤrten Har- monie betaͤubt und verzaubert. Ohne daß ich oft vernahm, was ſie ſagte, konnte mich der bloße Ton ihrer Stimme in Entzuͤcken verſetzen, alle meine Gedanken ſchlie- fen gleichſam in Blumen und in ſuͤßen Toͤnen, meine Seele ruhte in der ihrigen aus, und in einem Elemente, das fuͤr den Menſchen zu fein iſt, ſchwamm und ſpielte ich umher. Meine uͤbrigen Freundinnen ſahen nun mit Hohngelaͤchter auf mich hinab, ſie gaben mich verloren und meinten, ich werde nun eben ſo

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/416>, abgerufen am 22.11.2024.