werk zu bilden, in welchem ich mir wieder ge- fiel. Ich zog nach und nach meine vorigen Ideen in meinen jetzigen Zustand hinein, und so war es, als wenn sich ein sanfter Mond- schimmer über mir bildete, in dessen melancho- lischer Dämmerung ich gerne wandelte.
Ich lernte eine Familie in der Nachbar- schaft kennen, oder vielmehr, ich besuchte sie nur fleißig, weil mein Vormund mich dort ein- geführt hatte. Antonie, die einzige Tochter des Hauses, lenkte nach kurzer Zeit alle meine Auf- merksamkeit auf sich; die Dämmerung um mich her ward immer traulicher, und ich hatte am Ende meinen Schmerz vergessen, indem ich immer noch sehr unglücklich zu seyn glaubte.
Mein ganzes Leben bekam einen neuen Schwung und es ward mir auf eine andere Art lieb. Alle meine großen Entwürfe fielen zusam- men, meine große heroische Biographie kroch in einen Seufzer ein, ein einziger holdseeliger Blick erfüllte alle meine Wünsche.
In dieser Zeit ist man von allen Frauen- zimmern gern gesehn, weil man sie verehrt und für göttliche Wesen hält; sie sind immer in der Gesellschaft eines jungen unerfahrnen Men-
werk zu bilden, in welchem ich mir wieder ge- fiel. Ich zog nach und nach meine vorigen Ideen in meinen jetzigen Zuſtand hinein, und ſo war es, als wenn ſich ein ſanfter Mond- ſchimmer uͤber mir bildete, in deſſen melancho- liſcher Daͤmmerung ich gerne wandelte.
Ich lernte eine Familie in der Nachbar- ſchaft kennen, oder vielmehr, ich beſuchte ſie nur fleißig, weil mein Vormund mich dort ein- gefuͤhrt hatte. Antonie, die einzige Tochter des Hauſes, lenkte nach kurzer Zeit alle meine Auf- merkſamkeit auf ſich; die Daͤmmerung um mich her ward immer traulicher, und ich hatte am Ende meinen Schmerz vergeſſen, indem ich immer noch ſehr ungluͤcklich zu ſeyn glaubte.
Mein ganzes Leben bekam einen neuen Schwung und es ward mir auf eine andere Art lieb. Alle meine großen Entwuͤrfe fielen zuſam- men, meine große heroiſche Biographie kroch in einen Seufzer ein, ein einziger holdſeeliger Blick erfuͤllte alle meine Wuͤnſche.
In dieſer Zeit iſt man von allen Frauen- zimmern gern geſehn, weil man ſie verehrt und fuͤr goͤttliche Weſen haͤlt; ſie ſind immer in der Geſellſchaft eines jungen unerfahrnen Men-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0413"n="406"/>
werk zu bilden, in welchem ich mir wieder ge-<lb/>
fiel. Ich zog nach und nach meine vorigen<lb/>
Ideen in meinen jetzigen Zuſtand hinein, und<lb/>ſo war es, als wenn ſich ein ſanfter Mond-<lb/>ſchimmer uͤber mir bildete, in deſſen melancho-<lb/>
liſcher Daͤmmerung ich gerne wandelte.</p><lb/><p>Ich lernte eine Familie in der Nachbar-<lb/>ſchaft kennen, oder vielmehr, ich beſuchte ſie<lb/>
nur fleißig, weil mein Vormund mich dort ein-<lb/>
gefuͤhrt hatte. Antonie, die einzige Tochter des<lb/>
Hauſes, lenkte nach kurzer Zeit alle meine Auf-<lb/>
merkſamkeit auf ſich; die Daͤmmerung um mich<lb/>
her ward immer traulicher, und ich hatte am<lb/>
Ende meinen Schmerz vergeſſen, indem ich<lb/>
immer noch ſehr ungluͤcklich zu ſeyn glaubte.</p><lb/><p>Mein ganzes Leben bekam einen neuen<lb/>
Schwung und es ward mir auf eine andere Art<lb/>
lieb. Alle meine großen Entwuͤrfe fielen zuſam-<lb/>
men, meine große heroiſche Biographie kroch in<lb/>
einen Seufzer ein, ein einziger holdſeeliger<lb/>
Blick erfuͤllte alle meine Wuͤnſche.</p><lb/><p>In dieſer Zeit iſt man von allen Frauen-<lb/>
zimmern gern geſehn, weil man ſie verehrt und<lb/>
fuͤr goͤttliche Weſen haͤlt; ſie ſind immer in<lb/>
der Geſellſchaft eines jungen unerfahrnen Men-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[406/0413]
werk zu bilden, in welchem ich mir wieder ge-
fiel. Ich zog nach und nach meine vorigen
Ideen in meinen jetzigen Zuſtand hinein, und
ſo war es, als wenn ſich ein ſanfter Mond-
ſchimmer uͤber mir bildete, in deſſen melancho-
liſcher Daͤmmerung ich gerne wandelte.
Ich lernte eine Familie in der Nachbar-
ſchaft kennen, oder vielmehr, ich beſuchte ſie
nur fleißig, weil mein Vormund mich dort ein-
gefuͤhrt hatte. Antonie, die einzige Tochter des
Hauſes, lenkte nach kurzer Zeit alle meine Auf-
merkſamkeit auf ſich; die Daͤmmerung um mich
her ward immer traulicher, und ich hatte am
Ende meinen Schmerz vergeſſen, indem ich
immer noch ſehr ungluͤcklich zu ſeyn glaubte.
Mein ganzes Leben bekam einen neuen
Schwung und es ward mir auf eine andere Art
lieb. Alle meine großen Entwuͤrfe fielen zuſam-
men, meine große heroiſche Biographie kroch in
einen Seufzer ein, ein einziger holdſeeliger
Blick erfuͤllte alle meine Wuͤnſche.
In dieſer Zeit iſt man von allen Frauen-
zimmern gern geſehn, weil man ſie verehrt und
fuͤr goͤttliche Weſen haͤlt; ſie ſind immer in
der Geſellſchaft eines jungen unerfahrnen Men-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/413>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.