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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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ist, zu leben, in sofern besitzen wir diese
Kunst.

Sie haben doch auch den Vorsatz, sich bey
Ihrem Kinde nicht auf eine sogenannte gute
oder feine Erziehung einzulassen, keine von den
jetzigen Moden mitzumachen, die schon die Kin-
derseelen im achten Jahre mit Eitelkeit füllen
und sie so verderben. Ich habe beschlossen,
meinen Georg ganz einfach aufwachsen zu las-
sen, ich hoffe, er soll auf die Art am ersten
ein guter und einfacher Mensch werden; Kinder
merken nichts leichter, als wenn sie mit einer
gewissen Wichtigkeit behandelt werden; dies ist
die Ursache, warum viele sich schon früh selbst
sehr wichtig vorkommen, jede Art von Affekta-
tion wird dadurch bey ihnen erzeugt, sie halten
sich für Genie's und außerordentliche Menschen,
und denken nie daran, sich und der Welt Be-
weise davon zu geben. Ich bin überzeugt, daß
Lovell von seinem Vater mit zu vieler Sorg-
falt erzogen wurde, und daß dies die erste
Quelle seiner Thorheit und seines Unglücks war.
Die Liebe der Eltern artet gar zu leicht in et-
was aus, das keine Liebe mehr ist, sondern an
lächerliche Ziererey und Weichlichkeit gränzt,

iſt, zu leben, in ſofern beſitzen wir dieſe
Kunſt.

Sie haben doch auch den Vorſatz, ſich bey
Ihrem Kinde nicht auf eine ſogenannte gute
oder feine Erziehung einzulaſſen, keine von den
jetzigen Moden mitzumachen, die ſchon die Kin-
derſeelen im achten Jahre mit Eitelkeit fuͤllen
und ſie ſo verderben. Ich habe beſchloſſen,
meinen Georg ganz einfach aufwachſen zu laſ-
ſen, ich hoffe, er ſoll auf die Art am erſten
ein guter und einfacher Menſch werden; Kinder
merken nichts leichter, als wenn ſie mit einer
gewiſſen Wichtigkeit behandelt werden; dies iſt
die Urſache, warum viele ſich ſchon fruͤh ſelbſt
ſehr wichtig vorkommen, jede Art von Affekta-
tion wird dadurch bey ihnen erzeugt, ſie halten
ſich fuͤr Genie's und außerordentliche Menſchen,
und denken nie daran, ſich und der Welt Be-
weiſe davon zu geben. Ich bin uͤberzeugt, daß
Lovell von ſeinem Vater mit zu vieler Sorg-
falt erzogen wurde, und daß dies die erſte
Quelle ſeiner Thorheit und ſeines Ungluͤcks war.
Die Liebe der Eltern artet gar zu leicht in et-
was aus, das keine Liebe mehr iſt, ſondern an
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[389/0396] iſt, zu leben, in ſofern beſitzen wir dieſe Kunſt. Sie haben doch auch den Vorſatz, ſich bey Ihrem Kinde nicht auf eine ſogenannte gute oder feine Erziehung einzulaſſen, keine von den jetzigen Moden mitzumachen, die ſchon die Kin- derſeelen im achten Jahre mit Eitelkeit fuͤllen und ſie ſo verderben. Ich habe beſchloſſen, meinen Georg ganz einfach aufwachſen zu laſ- ſen, ich hoffe, er ſoll auf die Art am erſten ein guter und einfacher Menſch werden; Kinder merken nichts leichter, als wenn ſie mit einer gewiſſen Wichtigkeit behandelt werden; dies iſt die Urſache, warum viele ſich ſchon fruͤh ſelbſt ſehr wichtig vorkommen, jede Art von Affekta- tion wird dadurch bey ihnen erzeugt, ſie halten ſich fuͤr Genie's und außerordentliche Menſchen, und denken nie daran, ſich und der Welt Be- weiſe davon zu geben. Ich bin uͤberzeugt, daß Lovell von ſeinem Vater mit zu vieler Sorg- falt erzogen wurde, und daß dies die erſte Quelle ſeiner Thorheit und ſeines Ungluͤcks war. Die Liebe der Eltern artet gar zu leicht in et- was aus, das keine Liebe mehr iſt, ſondern an laͤcherliche Ziererey und Weichlichkeit graͤnzt,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/396>, abgerufen am 22.11.2024.