Leiden, die dem Herzen die verlohrne Mensch- lichkeit wiedergeben.
Zeigen Sie Niemanden diesen Brief, liebste Freundinn, denn er ist nur für Sie allein ge- schrieben, jedes andre Auge würde ihn entwei- hen und nur über meine Schwachheit spotten. So wenige Menschen verstehen es, fröhlich zu seyn, und noch weit weniger zu trauern, der Schmerz redet sie in einer himmlischen Sprache an und sie können nur mit ihren unbeholfenen, irdischen Tönen antworten. Wer sich freuen oder wer weinen will, ziehe sich ja zu Blumen und zu Bäumen zurück.
Der Unbekannte redete sehr herzlich und bald schien mir seine Sprache so bekannt. Es kamen wunderbare Erinnerungen in meine See- le; ich betrachtete ihn genauer und auch seine Gesichtszüge schienen mir nun nicht mehr fremd. -- O Amalie, welche Empfindung ergriff mich, als ich in dem armen Verstoßenen, in dem kran- ken Bettler einen alten, wohlbekannten Freund von mir entdeckte, -- und wie er sich mir nun selbst zu erkennen gab und viel von den Men-
Leiden, die dem Herzen die verlohrne Menſch- lichkeit wiedergeben.
Zeigen Sie Niemanden dieſen Brief, liebſte Freundinn, denn er iſt nur fuͤr Sie allein ge- ſchrieben, jedes andre Auge wuͤrde ihn entwei- hen und nur uͤber meine Schwachheit ſpotten. So wenige Menſchen verſtehen es, froͤhlich zu ſeyn, und noch weit weniger zu trauern, der Schmerz redet ſie in einer himmliſchen Sprache an und ſie koͤnnen nur mit ihren unbeholfenen, irdiſchen Toͤnen antworten. Wer ſich freuen oder wer weinen will, ziehe ſich ja zu Blumen und zu Baͤumen zuruͤck.
Der Unbekannte redete ſehr herzlich und bald ſchien mir ſeine Sprache ſo bekannt. Es kamen wunderbare Erinnerungen in meine See- le; ich betrachtete ihn genauer und auch ſeine Geſichtszuͤge ſchienen mir nun nicht mehr fremd. — O Amalie, welche Empfindung ergriff mich, als ich in dem armen Verſtoßenen, in dem kran- ken Bettler einen alten, wohlbekannten Freund von mir entdeckte, — und wie er ſich mir nun ſelbſt zu erkennen gab und viel von den Men-
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Leiden, die dem Herzen die verlohrne Menſch-
lichkeit wiedergeben.
Zeigen Sie Niemanden dieſen Brief, liebſte
Freundinn, denn er iſt nur fuͤr Sie allein ge-
ſchrieben, jedes andre Auge wuͤrde ihn entwei-
hen und nur uͤber meine Schwachheit ſpotten.
So wenige Menſchen verſtehen es, froͤhlich zu
ſeyn, und noch weit weniger zu trauern, der
Schmerz redet ſie in einer himmliſchen Sprache
an und ſie koͤnnen nur mit ihren unbeholfenen,
irdiſchen Toͤnen antworten. Wer ſich freuen
oder wer weinen will, ziehe ſich ja zu Blumen
und zu Baͤumen zuruͤck.
Der Unbekannte redete ſehr herzlich und
bald ſchien mir ſeine Sprache ſo bekannt. Es
kamen wunderbare Erinnerungen in meine See-
le; ich betrachtete ihn genauer und auch ſeine
Geſichtszuͤge ſchienen mir nun nicht mehr fremd.
— O Amalie, welche Empfindung ergriff mich,
als ich in dem armen Verſtoßenen, in dem kran-
ken Bettler einen alten, wohlbekannten Freund
von mir entdeckte, — und wie er ſich mir nun
ſelbſt zu erkennen gab und viel von den Men-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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