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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Hause nach ihm, man bestätigte, daß er dort
wohne, und wies mir mit einem Lächeln, das
ich nicht verstand, die Treppe nach seinem Zim-
mer. -- Ich trat hinein, er war es wirklich,
er erkannte mich sogleich und umarmte mich
mit großer Herzlichkeit. Er war gut gekleidet,
seine Mine war ganz geändert, sein Auge schien
heiter und ungetrübt. Er war ganz zu den ge-
wöhnlichen Menschen wieder zurückgekehrt, er
war froher und menschlicher, als er selbst da-
mals war, als ich ihn in Paris zuerst kennen
lernte. Mein Erstaunen war ohne Gränzen und
ich konnte mich immer noch nicht überzeugen,
daß jener unglückliche, wahnsinnige Balder
wirklich vor mir stehe.

Wir frühstückten miteinander, und ich
konnte nicht müde werden, ihn aufmerksam zu
betrachten. Sein Gesicht war voller und ge-
sunder, in seinen tiefliegenden Augen waren
einige Spuren des Wahnsinnes zurückgeblieben,
ob sie gleich ziemlich hell und lebhaft waren.
Alle seine Bewegungen waren lebendiger, er
war durchaus körperlicher geworden, und des-
wegen kam er mir in einzelnen Momenten ganz
fremd vor. Das Zimmer war ordentlich und

Hauſe nach ihm, man beſtaͤtigte, daß er dort
wohne, und wies mir mit einem Laͤcheln, das
ich nicht verſtand, die Treppe nach ſeinem Zim-
mer. — Ich trat hinein, er war es wirklich,
er erkannte mich ſogleich und umarmte mich
mit großer Herzlichkeit. Er war gut gekleidet,
ſeine Mine war ganz geaͤndert, ſein Auge ſchien
heiter und ungetruͤbt. Er war ganz zu den ge-
woͤhnlichen Menſchen wieder zuruͤckgekehrt, er
war froher und menſchlicher, als er ſelbſt da-
mals war, als ich ihn in Paris zuerſt kennen
lernte. Mein Erſtaunen war ohne Graͤnzen und
ich konnte mich immer noch nicht uͤberzeugen,
daß jener ungluͤckliche, wahnſinnige Balder
wirklich vor mir ſtehe.

Wir fruͤhſtuͤckten miteinander, und ich
konnte nicht muͤde werden, ihn aufmerkſam zu
betrachten. Sein Geſicht war voller und ge-
ſunder, in ſeinen tiefliegenden Augen waren
einige Spuren des Wahnſinnes zuruͤckgeblieben,
ob ſie gleich ziemlich hell und lebhaft waren.
Alle ſeine Bewegungen waren lebendiger, er
war durchaus koͤrperlicher geworden, und des-
wegen kam er mir in einzelnen Momenten ganz
fremd vor. Das Zimmer war ordentlich und

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[347/0354] Hauſe nach ihm, man beſtaͤtigte, daß er dort wohne, und wies mir mit einem Laͤcheln, das ich nicht verſtand, die Treppe nach ſeinem Zim- mer. — Ich trat hinein, er war es wirklich, er erkannte mich ſogleich und umarmte mich mit großer Herzlichkeit. Er war gut gekleidet, ſeine Mine war ganz geaͤndert, ſein Auge ſchien heiter und ungetruͤbt. Er war ganz zu den ge- woͤhnlichen Menſchen wieder zuruͤckgekehrt, er war froher und menſchlicher, als er ſelbſt da- mals war, als ich ihn in Paris zuerſt kennen lernte. Mein Erſtaunen war ohne Graͤnzen und ich konnte mich immer noch nicht uͤberzeugen, daß jener ungluͤckliche, wahnſinnige Balder wirklich vor mir ſtehe. Wir fruͤhſtuͤckten miteinander, und ich konnte nicht muͤde werden, ihn aufmerkſam zu betrachten. Sein Geſicht war voller und ge- ſunder, in ſeinen tiefliegenden Augen waren einige Spuren des Wahnſinnes zuruͤckgeblieben, ob ſie gleich ziemlich hell und lebhaft waren. Alle ſeine Bewegungen waren lebendiger, er war durchaus koͤrperlicher geworden, und des- wegen kam er mir in einzelnen Momenten ganz fremd vor. Das Zimmer war ordentlich und

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/354>, abgerufen am 22.11.2024.