Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
10.
William Lovell an Rosa.

Es neigt sich alles zum Ende, mein Leben
kömmt mir vor, wie eine Tragödie, von der
der fünfte Akt schon seinen Anfang genommen
hat. Alle Personen treten nach und nach von
der Bühne und ich bleibe allein übrig.

Ich besuchte in Padua das Mädchen am
folgenden Morgen wieder. Meine Rührung
hatte den ganzen Tag über fortgedauert, ich
stellte mir recht lebhaft vor, wie sehr sie mir
danken würde, und als ich nun hinkam, fand
ich sie im hitzigen Fieber, so daß sie mich gar
nicht wieder erkannte. Ich ließ das Geschenk
zurück, das ich für sie bestimmt hatte, aber
ich hatte sehr unangenehme Empfindungen. Es
war alles so leer und prosaisch in mir, indem
ich mir doch noch eine recht erschütternde Scene
gedacht, ja beynahe darauf gehofft hatte. Jetzt
war es, als wenn ich zu einer Unbekannten ge-
gangen wäre. Alle meine Empfindungen, als

10.
William Lovell an Roſa.

Es neigt ſich alles zum Ende, mein Leben
koͤmmt mir vor, wie eine Tragoͤdie, von der
der fuͤnfte Akt ſchon ſeinen Anfang genommen
hat. Alle Perſonen treten nach und nach von
der Buͤhne und ich bleibe allein uͤbrig.

Ich beſuchte in Padua das Maͤdchen am
folgenden Morgen wieder. Meine Ruͤhrung
hatte den ganzen Tag uͤber fortgedauert, ich
ſtellte mir recht lebhaft vor, wie ſehr ſie mir
danken wuͤrde, und als ich nun hinkam, fand
ich ſie im hitzigen Fieber, ſo daß ſie mich gar
nicht wieder erkannte. Ich ließ das Geſchenk
zuruͤck, das ich fuͤr ſie beſtimmt hatte, aber
ich hatte ſehr unangenehme Empfindungen. Es
war alles ſo leer und proſaiſch in mir, indem
ich mir doch noch eine recht erſchuͤtternde Scene
gedacht, ja beynahe darauf gehofft hatte. Jetzt
war es, als wenn ich zu einer Unbekannten ge-
gangen waͤre. Alle meine Empfindungen, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0352" n="345"/>
        <div n="2">
          <head>10.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell an Ro&#x017F;a</hi>.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Florenz</hi>.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>s neigt &#x017F;ich alles zum Ende, mein Leben<lb/>
ko&#x0364;mmt mir vor, wie eine Trago&#x0364;die, von der<lb/>
der fu&#x0364;nfte Akt &#x017F;chon &#x017F;einen Anfang genommen<lb/>
hat. Alle Per&#x017F;onen treten nach und nach von<lb/>
der Bu&#x0364;hne und ich bleibe allein u&#x0364;brig.</p><lb/>
          <p>Ich be&#x017F;uchte in Padua das Ma&#x0364;dchen am<lb/>
folgenden Morgen wieder. Meine Ru&#x0364;hrung<lb/>
hatte den ganzen Tag u&#x0364;ber fortgedauert, ich<lb/>
&#x017F;tellte mir recht lebhaft vor, wie &#x017F;ehr &#x017F;ie mir<lb/>
danken wu&#x0364;rde, und als ich nun hinkam, fand<lb/>
ich &#x017F;ie im hitzigen Fieber, &#x017F;o daß &#x017F;ie mich gar<lb/>
nicht wieder erkannte. Ich ließ das Ge&#x017F;chenk<lb/>
zuru&#x0364;ck, das ich fu&#x0364;r &#x017F;ie be&#x017F;timmt hatte, aber<lb/>
ich hatte &#x017F;ehr unangenehme Empfindungen. Es<lb/>
war alles &#x017F;o leer und pro&#x017F;ai&#x017F;ch in mir, indem<lb/>
ich mir doch noch eine recht er&#x017F;chu&#x0364;tternde Scene<lb/>
gedacht, ja beynahe darauf gehofft hatte. Jetzt<lb/>
war es, als wenn ich zu einer Unbekannten ge-<lb/>
gangen wa&#x0364;re. Alle meine Empfindungen, als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0352] 10. William Lovell an Roſa. Florenz. Es neigt ſich alles zum Ende, mein Leben koͤmmt mir vor, wie eine Tragoͤdie, von der der fuͤnfte Akt ſchon ſeinen Anfang genommen hat. Alle Perſonen treten nach und nach von der Buͤhne und ich bleibe allein uͤbrig. Ich beſuchte in Padua das Maͤdchen am folgenden Morgen wieder. Meine Ruͤhrung hatte den ganzen Tag uͤber fortgedauert, ich ſtellte mir recht lebhaft vor, wie ſehr ſie mir danken wuͤrde, und als ich nun hinkam, fand ich ſie im hitzigen Fieber, ſo daß ſie mich gar nicht wieder erkannte. Ich ließ das Geſchenk zuruͤck, das ich fuͤr ſie beſtimmt hatte, aber ich hatte ſehr unangenehme Empfindungen. Es war alles ſo leer und proſaiſch in mir, indem ich mir doch noch eine recht erſchuͤtternde Scene gedacht, ja beynahe darauf gehofft hatte. Jetzt war es, als wenn ich zu einer Unbekannten ge- gangen waͤre. Alle meine Empfindungen, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/352
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/352>, abgerufen am 24.11.2024.