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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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selbst eben so, wie mich alle übrigen Menschen
verachteten. -- Die muthwilligen Gespräche
der Mädchen versetzten mich dann wieder in
einen gewissen Rausch, den ich selbst in der
Freude nur als eine Trunkenheit ansah und in
denselben Augenblicken recht gut wußte, daß
ich zu einer nüchternen Selbstverachtung, zu
einer elenden, kriechenden Geistesdemüthigung
wieder erwachen würde. -- Ich verachtete aber
meine Freundinnen ganz von Herzen, ja ich
weinte über sie, als ich bald nachher von mei-
nem Vater hörte, daß sie sich in ein schlechtes
Haus als gemeine Dirnen hingegeben hätten. --
Wer hätte mir damals sagen können, -- o, und
doch ist es gar nicht wunderbar, es ist so be-
greiflich, -- ach! Lovell, der Mensch ist in sich
nichts werth.

Unser Unglück wurde noch vergrößert; von
innigem Grame, von vielen vergossenen Thränen
ward mein Vater blind. Ich war ihm jetzt
ganz unentbehrlich; ich war jetzt sein einziger
Trost. Ich that ihm alle Dienste gern und
willig, ich liebte ihn nur um so mehr, je un-
glücklicher er war. Meine Phantasie hatte jetzt,
bey der gänzlichen Unterdrückung von aussen,

ſelbſt eben ſo, wie mich alle uͤbrigen Menſchen
verachteten. — Die muthwilligen Geſpraͤche
der Maͤdchen verſetzten mich dann wieder in
einen gewiſſen Rauſch, den ich ſelbſt in der
Freude nur als eine Trunkenheit anſah und in
denſelben Augenblicken recht gut wußte, daß
ich zu einer nuͤchternen Selbſtverachtung, zu
einer elenden, kriechenden Geiſtesdemuͤthigung
wieder erwachen wuͤrde. — Ich verachtete aber
meine Freundinnen ganz von Herzen, ja ich
weinte uͤber ſie, als ich bald nachher von mei-
nem Vater hoͤrte, daß ſie ſich in ein ſchlechtes
Haus als gemeine Dirnen hingegeben haͤtten. —
Wer haͤtte mir damals ſagen koͤnnen, — o, und
doch iſt es gar nicht wunderbar, es iſt ſo be-
greiflich, — ach! Lovell, der Menſch iſt in ſich
nichts werth.

Unſer Ungluͤck wurde noch vergroͤßert; von
innigem Grame, von vielen vergoſſenen Thraͤnen
ward mein Vater blind. Ich war ihm jetzt
ganz unentbehrlich; ich war jetzt ſein einziger
Troſt. Ich that ihm alle Dienſte gern und
willig, ich liebte ihn nur um ſo mehr, je un-
gluͤcklicher er war. Meine Phantaſie hatte jetzt,
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[333/0340] ſelbſt eben ſo, wie mich alle uͤbrigen Menſchen verachteten. — Die muthwilligen Geſpraͤche der Maͤdchen verſetzten mich dann wieder in einen gewiſſen Rauſch, den ich ſelbſt in der Freude nur als eine Trunkenheit anſah und in denſelben Augenblicken recht gut wußte, daß ich zu einer nuͤchternen Selbſtverachtung, zu einer elenden, kriechenden Geiſtesdemuͤthigung wieder erwachen wuͤrde. — Ich verachtete aber meine Freundinnen ganz von Herzen, ja ich weinte uͤber ſie, als ich bald nachher von mei- nem Vater hoͤrte, daß ſie ſich in ein ſchlechtes Haus als gemeine Dirnen hingegeben haͤtten. — Wer haͤtte mir damals ſagen koͤnnen, — o, und doch iſt es gar nicht wunderbar, es iſt ſo be- greiflich, — ach! Lovell, der Menſch iſt in ſich nichts werth. Unſer Ungluͤck wurde noch vergroͤßert; von innigem Grame, von vielen vergoſſenen Thraͤnen ward mein Vater blind. Ich war ihm jetzt ganz unentbehrlich; ich war jetzt ſein einziger Troſt. Ich that ihm alle Dienſte gern und willig, ich liebte ihn nur um ſo mehr, je un- gluͤcklicher er war. Meine Phantaſie hatte jetzt, bey der gaͤnzlichen Unterdruͤckung von auſſen,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/340>, abgerufen am 22.11.2024.