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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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ten tröstet, sie ist der Wundarzt in der Welt
des Menschen, und der Mensch leidet gewiß
am meisten, wenn dieser sein Chirurgus krank
darnieder liegt; wenn ihn die Eitelkeit verläßt,
oder er seine Eitelkeit verachtet, so durchlebt
er die unglücklichsten Stunden seiner Existenz.
Wenn sich nun ein Mann irgend ein Spielzeug
aussucht und sehr ernsthaft damit umgeht, soll
man ihn denn deswegen tadeln? Der alte Black-
stone rührt mich immer durch seine Briefe, der
jetzt, der Sorgen entbunden, seine Talente
wieder will glänzen lassen; er ist dabey der gut-
müthigste Mensch von der Welt und wünscht
keinen andern zu kränken. An den Thorheiten
erkennen wir erst das recht Menschliche im
Menschen, sie machen am Ende den Menschen
aus. Ich will mich über alle Schwächen zu-
frieden geben, die ich mit der Zeit noch an
mir bemerken sollte, sie hören nie auf, und
man grämt sich nur darüber, indem man an-
fängt sich kennen zu lernen, dann will man sich
gern für überaus vortreflich halten und findet
dann so viel närrisches Unkraut unter dem
Waizen, daß man den Waizen oft gar nicht
gewahr wird; ist man aber erst mit sich selbst

ten troͤſtet, ſie iſt der Wundarzt in der Welt
des Menſchen, und der Menſch leidet gewiß
am meiſten, wenn dieſer ſein Chirurgus krank
darnieder liegt; wenn ihn die Eitelkeit verlaͤßt,
oder er ſeine Eitelkeit verachtet, ſo durchlebt
er die ungluͤcklichſten Stunden ſeiner Exiſtenz.
Wenn ſich nun ein Mann irgend ein Spielzeug
ausſucht und ſehr ernſthaft damit umgeht, ſoll
man ihn denn deswegen tadeln? Der alte Black-
ſtone ruͤhrt mich immer durch ſeine Briefe, der
jetzt, der Sorgen entbunden, ſeine Talente
wieder will glaͤnzen laſſen; er iſt dabey der gut-
muͤthigſte Menſch von der Welt und wuͤnſcht
keinen andern zu kraͤnken. An den Thorheiten
erkennen wir erſt das recht Menſchliche im
Menſchen, ſie machen am Ende den Menſchen
aus. Ich will mich uͤber alle Schwaͤchen zu-
frieden geben, die ich mit der Zeit noch an
mir bemerken ſollte, ſie hoͤren nie auf, und
man graͤmt ſich nur daruͤber, indem man an-
faͤngt ſich kennen zu lernen, dann will man ſich
gern fuͤr uͤberaus vortreflich halten und findet
dann ſo viel naͤrriſches Unkraut unter dem
Waizen, daß man den Waizen oft gar nicht
gewahr wird; iſt man aber erſt mit ſich ſelbſt

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[316/0323] ten troͤſtet, ſie iſt der Wundarzt in der Welt des Menſchen, und der Menſch leidet gewiß am meiſten, wenn dieſer ſein Chirurgus krank darnieder liegt; wenn ihn die Eitelkeit verlaͤßt, oder er ſeine Eitelkeit verachtet, ſo durchlebt er die ungluͤcklichſten Stunden ſeiner Exiſtenz. Wenn ſich nun ein Mann irgend ein Spielzeug ausſucht und ſehr ernſthaft damit umgeht, ſoll man ihn denn deswegen tadeln? Der alte Black- ſtone ruͤhrt mich immer durch ſeine Briefe, der jetzt, der Sorgen entbunden, ſeine Talente wieder will glaͤnzen laſſen; er iſt dabey der gut- muͤthigſte Menſch von der Welt und wuͤnſcht keinen andern zu kraͤnken. An den Thorheiten erkennen wir erſt das recht Menſchliche im Menſchen, ſie machen am Ende den Menſchen aus. Ich will mich uͤber alle Schwaͤchen zu- frieden geben, die ich mit der Zeit noch an mir bemerken ſollte, ſie hoͤren nie auf, und man graͤmt ſich nur daruͤber, indem man an- faͤngt ſich kennen zu lernen, dann will man ſich gern fuͤr uͤberaus vortreflich halten und findet dann ſo viel naͤrriſches Unkraut unter dem Waizen, daß man den Waizen oft gar nicht gewahr wird; iſt man aber erſt mit ſich ſelbſt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/323>, abgerufen am 22.11.2024.