Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle stürmend entgegen. Alle haben mich begrüßt, und jeder Baum scheint mich zu fragen: wo ich so lange geblieben sey? Ach Rosa! die Trä- nen stiegen mir in die Augen, und ich konnte keine Antwort geben.
Die hohen Bäume in der Allee rauschen noch in gebrochenen Tönen einige Stellen des Ossian, den ich ihr immer am Morgen vor- las; dieselbe Sehnsucht ergrif mich wieder, als ich oben auf dem Hügel dem Flusse nachsahe, der sich zwischen dem Felsenufer hindurch win- det; alles ist mir noch befreundet, nur ich ma- che allen Gegenständen ein fremdes Gesicht. -- Ach! ich bin ein Träumer, -- ich möchte sa- gen: Die leblose Natur hat inniger an mir ge- hangen, als je die Menschen. --
Lange stand ich vor der Linde still, in der ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub. Nur wenig haben sich die Züge durch den Wachsthum des Baumes verändert. -- Wie vieles nahm ich mir damals vor, als ich diese Züge langsam und bedächtlich dem Baume ein- schnitt! --
Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle ſtuͤrmend entgegen. Alle haben mich begruͤßt, und jeder Baum ſcheint mich zu fragen: wo ich ſo lange geblieben ſey? Ach Roſa! die Traͤ- nen ſtiegen mir in die Augen, und ich konnte keine Antwort geben.
Die hohen Baͤume in der Allee rauſchen noch in gebrochenen Toͤnen einige Stellen des Oſſian, den ich ihr immer am Morgen vor- las; dieſelbe Sehnſucht ergrif mich wieder, als ich oben auf dem Huͤgel dem Fluſſe nachſahe, der ſich zwiſchen dem Felſenufer hindurch win- det; alles iſt mir noch befreundet, nur ich ma- che allen Gegenſtaͤnden ein fremdes Geſicht. — Ach! ich bin ein Traͤumer, — ich moͤchte ſa- gen: Die lebloſe Natur hat inniger an mir ge- hangen, als je die Menſchen. —
Lange ſtand ich vor der Linde ſtill, in der ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub. Nur wenig haben ſich die Zuͤge durch den Wachsthum des Baumes veraͤndert. — Wie vieles nahm ich mir damals vor, als ich dieſe Zuͤge langſam und bedaͤchtlich dem Baume ein- ſchnitt! —
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Fuß den Garten betrat, und kamen mir alle
ſtuͤrmend entgegen. Alle haben mich begruͤßt,
und jeder Baum ſcheint mich zu fragen: wo
ich ſo lange geblieben ſey? Ach Roſa! die Traͤ-
nen ſtiegen mir in die Augen, und ich konnte
keine Antwort geben.
Die hohen Baͤume in der Allee rauſchen
noch in gebrochenen Toͤnen einige Stellen des
Oſſian, den ich ihr immer am Morgen vor-
las; dieſelbe Sehnſucht ergrif mich wieder, als
ich oben auf dem Huͤgel dem Fluſſe nachſahe,
der ſich zwiſchen dem Felſenufer hindurch win-
det; alles iſt mir noch befreundet, nur ich ma-
che allen Gegenſtaͤnden ein fremdes Geſicht. —
Ach! ich bin ein Traͤumer, — ich moͤchte ſa-
gen: Die lebloſe Natur hat inniger an mir ge-
hangen, als je die Menſchen. —
Lange ſtand ich vor der Linde ſtill, in der
ich meinen und Amaliens Nahmen eingrub.
Nur wenig haben ſich die Zuͤge durch den
Wachsthum des Baumes veraͤndert. — Wie
vieles nahm ich mir damals vor, als ich dieſe
Zuͤge langſam und bedaͤchtlich dem Baume ein-
ſchnitt! —
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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