habe ich von ihr erhalten können, aber sie muß hier in London seyn. -- Gestern war ich im Theater, es wurde Macbeth gegeben, und ich war mit einer ächten Jugendempfindung in die Darstellung vertieft. Alle Ideen umgaben mich auf eine wunderbare Weise, und die Mu- sik der Zwischenakte machte, daß ich mich selbst und alles um mich her vergaß. -- Im letzten Akte zog ein Gesicht in einer Loge meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, denn es glich Ama- lien vollkommen. Ich vergaß das Stück, und suchte mir nur die Erinnerung ihrer recht ge- genwärtig zu machen, um sie mit diesem Bilde zu vergleichen. Sobald man ein Gesicht beob- achten will, das uns bekannt vorkömmt, so ge- räth man bald in einen gewissen Schwindel und Zweifel, denn alles überzeugt uns und wieder- spricht uns dann wieder, man schwört dafür, und läugnet es wieder, und alles wechselt im- mer beynahe in einer Sekunde.
Ich war noch immer verwirrt, und in tie- fen Gedanken, als das Stück schon geschlossen war. Ich drängte mich mit den andern hin- aus, und erwartete an der Treppe die Herun- terkommenden. Viele Gesichter liefen durchein-
habe ich von ihr erhalten koͤnnen, aber ſie muß hier in London ſeyn. — Geſtern war ich im Theater, es wurde Macbeth gegeben, und ich war mit einer aͤchten Jugendempfindung in die Darſtellung vertieft. Alle Ideen umgaben mich auf eine wunderbare Weiſe, und die Mu- ſik der Zwiſchenakte machte, daß ich mich ſelbſt und alles um mich her vergaß. — Im letzten Akte zog ein Geſicht in einer Loge meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich, denn es glich Ama- lien vollkommen. Ich vergaß das Stuͤck, und ſuchte mir nur die Erinnerung ihrer recht ge- genwaͤrtig zu machen, um ſie mit dieſem Bilde zu vergleichen. Sobald man ein Geſicht beob- achten will, das uns bekannt vorkoͤmmt, ſo ge- raͤth man bald in einen gewiſſen Schwindel und Zweifel, denn alles uͤberzeugt uns und wieder- ſpricht uns dann wieder, man ſchwoͤrt dafuͤr, und laͤugnet es wieder, und alles wechſelt im- mer beynahe in einer Sekunde.
Ich war noch immer verwirrt, und in tie- fen Gedanken, als das Stuͤck ſchon geſchloſſen war. Ich draͤngte mich mit den andern hin- aus, und erwartete an der Treppe die Herun- terkommenden. Viele Geſichter liefen durchein-
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habe ich von ihr erhalten koͤnnen, aber ſie muß
hier in London ſeyn. — Geſtern war ich im
Theater, es wurde Macbeth gegeben, und
ich war mit einer aͤchten Jugendempfindung in
die Darſtellung vertieft. Alle Ideen umgaben
mich auf eine wunderbare Weiſe, und die Mu-
ſik der Zwiſchenakte machte, daß ich mich ſelbſt
und alles um mich her vergaß. — Im letzten
Akte zog ein Geſicht in einer Loge meine ganze
Aufmerkſamkeit auf ſich, denn es glich Ama-
lien vollkommen. Ich vergaß das Stuͤck, und
ſuchte mir nur die Erinnerung ihrer recht ge-
genwaͤrtig zu machen, um ſie mit dieſem Bilde
zu vergleichen. Sobald man ein Geſicht beob-
achten will, das uns bekannt vorkoͤmmt, ſo ge-
raͤth man bald in einen gewiſſen Schwindel und
Zweifel, denn alles uͤberzeugt uns und wieder-
ſpricht uns dann wieder, man ſchwoͤrt dafuͤr,
und laͤugnet es wieder, und alles wechſelt im-
mer beynahe in einer Sekunde.
Ich war noch immer verwirrt, und in tie-
fen Gedanken, als das Stuͤck ſchon geſchloſſen
war. Ich draͤngte mich mit den andern hin-
aus, und erwartete an der Treppe die Herun-
terkommenden. Viele Geſichter liefen durchein-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/23>, abgerufen am 22.11.2024.
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