begreifen. Unser Sprechen besteht darinn, daß wir ganze Haufen von Ideen als Eine Idee hinstellen, wir nehmen die Phantasie zu Hülfe, um der fremden Seele zu erläutern, was uns selbst nur halb deutlich ist; und auf diese Art entstehn Gemählde, die dem kälteren Geiste, der nicht gespannt ist, Mißgeburten scheinen. Es ist ein Fluch, der auf der Sprache des Menschen liegt, daß keiner den andern verstehen kann, und dies ist die Quelle alles Haders und aller Verfolgung; die Sprache ist ein tödt- liches Werkzeug, das uns wie unvorsichtigen Kindern gegeben ist, um einer den andern zu verletzen. -- Ach, habe ich nicht dadurch Lo- vell und Emilien verlohren?
Vielleicht verstehn Sie mich auch nicht ganz, denn Ihr Brief hat mich in eine gewisse Erhitzung versetzt, in der mir diese Ideen sehr geläufig sind.
Ich sehe Ralph und seine Tochter täglich. Sie ist in ihrer Unschuld verehrungswürdig, und diese Menschen söhnen mich nach und nach mit der Welt und ihren Bewohnern wieder
begreifen. Unſer Sprechen beſteht darinn, daß wir ganze Haufen von Ideen als Eine Idee hinſtellen, wir nehmen die Phantaſie zu Huͤlfe, um der fremden Seele zu erlaͤutern, was uns ſelbſt nur halb deutlich iſt; und auf dieſe Art entſtehn Gemaͤhlde, die dem kaͤlteren Geiſte, der nicht geſpannt iſt, Mißgeburten ſcheinen. Es iſt ein Fluch, der auf der Sprache des Menſchen liegt, daß keiner den andern verſtehen kann, und dies iſt die Quelle alles Haders und aller Verfolgung; die Sprache iſt ein toͤdt- liches Werkzeug, das uns wie unvorſichtigen Kindern gegeben iſt, um einer den andern zu verletzen. — Ach, habe ich nicht dadurch Lo- vell und Emilien verlohren?
Vielleicht verſtehn Sie mich auch nicht ganz, denn Ihr Brief hat mich in eine gewiſſe Erhitzung verſetzt, in der mir dieſe Ideen ſehr gelaͤufig ſind.
Ich ſehe Ralph und ſeine Tochter taͤglich. Sie iſt in ihrer Unſchuld verehrungswuͤrdig, und dieſe Menſchen ſoͤhnen mich nach und nach mit der Welt und ihren Bewohnern wieder
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[207/0214]
begreifen. Unſer Sprechen beſteht darinn, daß
wir ganze Haufen von Ideen als Eine Idee
hinſtellen, wir nehmen die Phantaſie zu Huͤlfe,
um der fremden Seele zu erlaͤutern, was uns
ſelbſt nur halb deutlich iſt; und auf dieſe Art
entſtehn Gemaͤhlde, die dem kaͤlteren Geiſte,
der nicht geſpannt iſt, Mißgeburten ſcheinen.
Es iſt ein Fluch, der auf der Sprache des
Menſchen liegt, daß keiner den andern verſtehen
kann, und dies iſt die Quelle alles Haders
und aller Verfolgung; die Sprache iſt ein toͤdt-
liches Werkzeug, das uns wie unvorſichtigen
Kindern gegeben iſt, um einer den andern zu
verletzen. — Ach, habe ich nicht dadurch Lo-
vell und Emilien verlohren?
Vielleicht verſtehn Sie mich auch nicht
ganz, denn Ihr Brief hat mich in eine gewiſſe
Erhitzung verſetzt, in der mir dieſe Ideen ſehr
gelaͤufig ſind.
Ich ſehe Ralph und ſeine Tochter taͤglich.
Sie iſt in ihrer Unſchuld verehrungswuͤrdig,
und dieſe Menſchen ſoͤhnen mich nach und nach
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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