aller Empfindungen, und je mehr ich aus mir hinausging, je weiter lagen die Empfindungen auseinander, die in meinem Herzen dicht neben einander wohnten. -- Aus dieser Ursache fühlt sich der Unglückliche in der Welt unter allen Geschöpfen so fremd, denn man nimmt auf sei- nen Schmerz nie Rücksicht genug, man achtet ihn nie so, wie er es wünscht. -- Die Menschen, die mich umgaben, trockneten bald ihre Augen, andre hatten nie geweint, noch entferntere Emilien nie gekannt. -- Ich schalt auf alle und war ungerecht. Dieses mannichfaltige und wi- dersprechende Interesse der großen Menschheit sollte uns im Gegentheile im Unglücke trösten, denn dadurch wird unser Egoismus bekämpft. --
Leben Sie wohl und antworten Sie mir bald.
aller Empfindungen, und je mehr ich aus mir hinausging, je weiter lagen die Empfindungen auseinander, die in meinem Herzen dicht neben einander wohnten. — Aus dieſer Urſache fuͤhlt ſich der Ungluͤckliche in der Welt unter allen Geſchoͤpfen ſo fremd, denn man nimmt auf ſei- nen Schmerz nie Ruͤckſicht genug, man achtet ihn nie ſo, wie er es wuͤnſcht. — Die Menſchen, die mich umgaben, trockneten bald ihre Augen, andre hatten nie geweint, noch entferntere Emilien nie gekannt. — Ich ſchalt auf alle und war ungerecht. Dieſes mannichfaltige und wi- derſprechende Intereſſe der großen Menſchheit ſollte uns im Gegentheile im Ungluͤcke troͤſten, denn dadurch wird unſer Egoismus bekaͤmpft. —
Leben Sie wohl und antworten Sie mir bald.
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aller Empfindungen, und je mehr ich aus mir
hinausging, je weiter lagen die Empfindungen
auseinander, die in meinem Herzen dicht neben
einander wohnten. — Aus dieſer Urſache fuͤhlt
ſich der Ungluͤckliche in der Welt unter allen
Geſchoͤpfen ſo fremd, denn man nimmt auf ſei-
nen Schmerz nie Ruͤckſicht genug, man achtet
ihn nie ſo, wie er es wuͤnſcht. — Die Menſchen,
die mich umgaben, trockneten bald ihre Augen,
andre hatten nie geweint, noch entferntere
Emilien nie gekannt. — Ich ſchalt auf alle und
war ungerecht. Dieſes mannichfaltige und wi-
derſprechende Intereſſe der großen Menſchheit
ſollte uns im Gegentheile im Ungluͤcke troͤſten,
denn dadurch wird unſer Egoismus bekaͤmpft. —
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bald.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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