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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Mast so fest, als wenn ich das Schiff durch
meine eigne Kraft über den Fluthen empor hal-
ten wollte. Ich wünschte nur zu leben, und
vergaß jedes andere Glück und Elend der Erde;
der Tod war mir jetzt ein gräßliches, riesen-
mäßiges Ungeheuer, das seine Hand kalt und
unerbittlich nach mir ausstreckte; von allen Sei-
ten hatten mich seine Wächter eingesperrt und
das Entrinnen war unmöglich! Wie lieb ge-
wann ich in diesen Augenblicken den Arm, der
mich an den gefühllosen Mast kettete, wie sehr
liebt' ich mich selbst! --

Das Wetter ward endlich ruhiger und alle
erwachten wie aus einem schweren Traume,
das Land, das wir erreichten, kam uns so neu
und doch wie ein alter Freund vor. --

Ich mag nicht noch eine solche Stunde er-
leben, und wie leicht ist es möglich, daß sie
mich plötzlich überrascht. -- Ach, noch weit
entsetzlicher ist das einsame Krankenbette, in
das der Tod nach und nach mit hineinkriecht,
sich mit uns unter einer Decke verbirgt und so
vertraulich thut. -- Ich entsetze mich in man-
chen Stunden davor, daß ich irgend einmal
sterben muß; man denkt daran nur so selten

N 2

Maſt ſo feſt, als wenn ich das Schiff durch
meine eigne Kraft uͤber den Fluthen empor hal-
ten wollte. Ich wuͤnſchte nur zu leben, und
vergaß jedes andere Gluͤck und Elend der Erde;
der Tod war mir jetzt ein graͤßliches, rieſen-
maͤßiges Ungeheuer, das ſeine Hand kalt und
unerbittlich nach mir ausſtreckte; von allen Sei-
ten hatten mich ſeine Waͤchter eingeſperrt und
das Entrinnen war unmoͤglich! Wie lieb ge-
wann ich in dieſen Augenblicken den Arm, der
mich an den gefuͤhlloſen Maſt kettete, wie ſehr
liebt' ich mich ſelbſt! —

Das Wetter ward endlich ruhiger und alle
erwachten wie aus einem ſchweren Traume,
das Land, das wir erreichten, kam uns ſo neu
und doch wie ein alter Freund vor. —

Ich mag nicht noch eine ſolche Stunde er-
leben, und wie leicht iſt es moͤglich, daß ſie
mich ploͤtzlich uͤberraſcht. — Ach, noch weit
entſetzlicher iſt das einſame Krankenbette, in
das der Tod nach und nach mit hineinkriecht,
ſich mit uns unter einer Decke verbirgt und ſo
vertraulich thut. — Ich entſetze mich in man-
chen Stunden davor, daß ich irgend einmal
ſterben muß; man denkt daran nur ſo ſelten

N 2
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[195/0202] Maſt ſo feſt, als wenn ich das Schiff durch meine eigne Kraft uͤber den Fluthen empor hal- ten wollte. Ich wuͤnſchte nur zu leben, und vergaß jedes andere Gluͤck und Elend der Erde; der Tod war mir jetzt ein graͤßliches, rieſen- maͤßiges Ungeheuer, das ſeine Hand kalt und unerbittlich nach mir ausſtreckte; von allen Sei- ten hatten mich ſeine Waͤchter eingeſperrt und das Entrinnen war unmoͤglich! Wie lieb ge- wann ich in dieſen Augenblicken den Arm, der mich an den gefuͤhlloſen Maſt kettete, wie ſehr liebt' ich mich ſelbſt! — Das Wetter ward endlich ruhiger und alle erwachten wie aus einem ſchweren Traume, das Land, das wir erreichten, kam uns ſo neu und doch wie ein alter Freund vor. — Ich mag nicht noch eine ſolche Stunde er- leben, und wie leicht iſt es moͤglich, daß ſie mich ploͤtzlich uͤberraſcht. — Ach, noch weit entſetzlicher iſt das einſame Krankenbette, in das der Tod nach und nach mit hineinkriecht, ſich mit uns unter einer Decke verbirgt und ſo vertraulich thut. — Ich entſetze mich in man- chen Stunden davor, daß ich irgend einmal ſterben muß; man denkt daran nur ſo ſelten N 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/202>, abgerufen am 25.11.2024.