und Irrthümer, sie sind die erniedrigten Last- thiere bestandloser Träume, die sie ängstigen dürfen, weil sie nicht wagen die Augen aufzu- thun und zu erwachen. Mögen sie denn in ih- rem Schlummer liegen bleiben und die wirkliche Welt und sich selbst nie kennen lernen.
Aber warum habe ich Dich seit so langer Zeit nicht gesehen, warum hast Du mir nicht geschrieben? Gehörst Du etwa auch zu jenen Menschen, die einen Gedanken nicht zu denken wagen, weil er ihre bequeme Verdauung stört? Ist das Eure Freundschaft und Eure Seelen- stärke? Willst Du den elenden Lovell nachah- men, der nicht weiß, was er denken und was er empfinden soll? Der über die Erde in seiner Einfalt geht, sich in Dornen ritzt und meynet, unterirdische Riesen stächen nach ihm mit ge- waltigen Speeren? Der sich über Vorfälle ent- setzt, mit denen Kinder schon vertraut seyn soll- ten? Habe ich mich darum aus dem großen Haufen der Menschen zurückgezogen, um unter den ausgewählten Freunden dieselbe verächt- liche Brut anzutreffen, der ich entrinnen wollte?
Noch an dem Gränzsteine meines Lebens
und Irrthuͤmer, ſie ſind die erniedrigten Laſt- thiere beſtandloſer Traͤume, die ſie aͤngſtigen duͤrfen, weil ſie nicht wagen die Augen aufzu- thun und zu erwachen. Moͤgen ſie denn in ih- rem Schlummer liegen bleiben und die wirkliche Welt und ſich ſelbſt nie kennen lernen.
Aber warum habe ich Dich ſeit ſo langer Zeit nicht geſehen, warum haſt Du mir nicht geſchrieben? Gehoͤrſt Du etwa auch zu jenen Menſchen, die einen Gedanken nicht zu denken wagen, weil er ihre bequeme Verdauung ſtoͤrt? Iſt das Eure Freundſchaft und Eure Seelen- ſtaͤrke? Willſt Du den elenden Lovell nachah- men, der nicht weiß, was er denken und was er empfinden ſoll? Der uͤber die Erde in ſeiner Einfalt geht, ſich in Dornen ritzt und meynet, unterirdiſche Rieſen ſtaͤchen nach ihm mit ge- waltigen Speeren? Der ſich uͤber Vorfaͤlle ent- ſetzt, mit denen Kinder ſchon vertraut ſeyn ſoll- ten? Habe ich mich darum aus dem großen Haufen der Menſchen zuruͤckgezogen, um unter den ausgewaͤhlten Freunden dieſelbe veraͤcht- liche Brut anzutreffen, der ich entrinnen wollte?
Noch an dem Graͤnzſteine meines Lebens
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und Irrthuͤmer, ſie ſind die erniedrigten Laſt-
thiere beſtandloſer Traͤume, die ſie aͤngſtigen
duͤrfen, weil ſie nicht wagen die Augen aufzu-
thun und zu erwachen. Moͤgen ſie denn in ih-
rem Schlummer liegen bleiben und die wirkliche
Welt und ſich ſelbſt nie kennen lernen.
Aber warum habe ich Dich ſeit ſo langer
Zeit nicht geſehen, warum haſt Du mir nicht
geſchrieben? Gehoͤrſt Du etwa auch zu jenen
Menſchen, die einen Gedanken nicht zu denken
wagen, weil er ihre bequeme Verdauung ſtoͤrt?
Iſt das Eure Freundſchaft und Eure Seelen-
ſtaͤrke? Willſt Du den elenden Lovell nachah-
men, der nicht weiß, was er denken und was
er empfinden ſoll? Der uͤber die Erde in ſeiner
Einfalt geht, ſich in Dornen ritzt und meynet,
unterirdiſche Rieſen ſtaͤchen nach ihm mit ge-
waltigen Speeren? Der ſich uͤber Vorfaͤlle ent-
ſetzt, mit denen Kinder ſchon vertraut ſeyn ſoll-
ten? Habe ich mich darum aus dem großen
Haufen der Menſchen zuruͤckgezogen, um unter
den ausgewaͤhlten Freunden dieſelbe veraͤcht-
liche Brut anzutreffen, der ich entrinnen
wollte?
Noch an dem Graͤnzſteine meines Lebens
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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