Alle meine Freunde scheinen mir jetzt fremd zu werden. Adriano ist nach Florenz gereist und kömmt nicht zurück, den wohlbeleibten Fran- cesko habe ich schon seit einer Woche nicht ge- sehn, und auch Du lässest nichts von Dir hören. Es scheint, als wäre ich euch allen zu alltäglich geworden und als müßtet ihr mich eine Weile ungenützt liegen lassen, um mich neu und un- terhaltend zu finden. Es ist mir neu, daß man auf die Art ein Spiel aus mir macht, das nur als Seltenheit belustigen kann und oft wieder- holt schaal und ermüdend wird. -- Wie ver- ächtlich sind jene Menschen, die sich aus kindi- scher Furchtsamkeit von mir entfernen, weil vielleicht manches, was ich ihnen sagte, eine gewisse Blödigkeit in ihrem Innern verursachte, daß sie sich selbst als Räthsel, oder als bejam- mernswürdige Maschinen vorkamen. Sie ziehn als Knechte an dem Joche ihrer Vorurtheile
8. Andrea Coſimo an Roſa.
Rom.
Alle meine Freunde ſcheinen mir jetzt fremd zu werden. Adriano iſt nach Florenz gereiſt und koͤmmt nicht zuruͤck, den wohlbeleibten Fran- cesko habe ich ſchon ſeit einer Woche nicht ge- ſehn, und auch Du laͤſſeſt nichts von Dir hoͤren. Es ſcheint, als waͤre ich euch allen zu alltaͤglich geworden und als muͤßtet ihr mich eine Weile ungenuͤtzt liegen laſſen, um mich neu und un- terhaltend zu finden. Es iſt mir neu, daß man auf die Art ein Spiel aus mir macht, das nur als Seltenheit beluſtigen kann und oft wieder- holt ſchaal und ermuͤdend wird. — Wie ver- aͤchtlich ſind jene Menſchen, die ſich aus kindi- ſcher Furchtſamkeit von mir entfernen, weil vielleicht manches, was ich ihnen ſagte, eine gewiſſe Bloͤdigkeit in ihrem Innern verurſachte, daß ſie ſich ſelbſt als Raͤthſel, oder als bejam- mernswuͤrdige Maſchinen vorkamen. Sie ziehn als Knechte an dem Joche ihrer Vorurtheile
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0191"n="184"/><divn="2"><head>8.<lb/><hirendition="#g">Andrea Coſimo</hi> an <hirendition="#g">Roſa</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Rom</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>lle meine Freunde ſcheinen mir jetzt fremd zu<lb/>
werden. Adriano iſt nach Florenz gereiſt und<lb/>
koͤmmt nicht zuruͤck, den wohlbeleibten Fran-<lb/>
cesko habe ich ſchon ſeit einer Woche nicht ge-<lb/>ſehn, und auch Du laͤſſeſt nichts von Dir hoͤren.<lb/>
Es ſcheint, als waͤre ich euch allen zu alltaͤglich<lb/>
geworden und als muͤßtet ihr mich eine Weile<lb/>
ungenuͤtzt liegen laſſen, um mich neu und un-<lb/>
terhaltend zu finden. Es iſt mir neu, daß man<lb/>
auf die Art ein Spiel aus mir macht, das nur<lb/>
als Seltenheit beluſtigen kann und oft wieder-<lb/>
holt ſchaal und ermuͤdend wird. — Wie ver-<lb/>
aͤchtlich ſind jene Menſchen, die ſich aus kindi-<lb/>ſcher Furchtſamkeit von mir entfernen, weil<lb/>
vielleicht manches, was ich ihnen ſagte, eine<lb/>
gewiſſe Bloͤdigkeit in ihrem Innern verurſachte,<lb/>
daß ſie ſich ſelbſt als Raͤthſel, oder als bejam-<lb/>
mernswuͤrdige Maſchinen vorkamen. Sie ziehn<lb/>
als Knechte an dem Joche ihrer Vorurtheile<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[184/0191]
8.
Andrea Coſimo an Roſa.
Rom.
Alle meine Freunde ſcheinen mir jetzt fremd zu
werden. Adriano iſt nach Florenz gereiſt und
koͤmmt nicht zuruͤck, den wohlbeleibten Fran-
cesko habe ich ſchon ſeit einer Woche nicht ge-
ſehn, und auch Du laͤſſeſt nichts von Dir hoͤren.
Es ſcheint, als waͤre ich euch allen zu alltaͤglich
geworden und als muͤßtet ihr mich eine Weile
ungenuͤtzt liegen laſſen, um mich neu und un-
terhaltend zu finden. Es iſt mir neu, daß man
auf die Art ein Spiel aus mir macht, das nur
als Seltenheit beluſtigen kann und oft wieder-
holt ſchaal und ermuͤdend wird. — Wie ver-
aͤchtlich ſind jene Menſchen, die ſich aus kindi-
ſcher Furchtſamkeit von mir entfernen, weil
vielleicht manches, was ich ihnen ſagte, eine
gewiſſe Bloͤdigkeit in ihrem Innern verurſachte,
daß ſie ſich ſelbſt als Raͤthſel, oder als bejam-
mernswuͤrdige Maſchinen vorkamen. Sie ziehn
als Knechte an dem Joche ihrer Vorurtheile
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/191>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.