Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
6.
Francesko an Adriano.

Ich bin Ihrem Rathe gefolgt und ich finde,
daß selbst Unbequemlichkeiten bei weitem nicht
so unbequem sind, als man sich im Anfange
vorstellt. Andrea hat mein verändertes Betra-
gen bemerkt, aber er scheint keine besondre
Theilnahme darüber zu äußern. Es ist wirklich
gut, daß Sie mich in Ihrem neulichen Briefe
auf alles aufmerksam gemacht haben. Warum
sollen wir denn nicht auf unsre eigne Hand
vernünftig seyn dürfen, und immer nur auf die
Bestätigung dieses Andrea warten? Darf er
denn nur unserm Kopfe das Privilegium er-
theilen, zu denken? -- Ich könnte es niemals
über's Herz bringen, irgend einen Menschen auf
eine ähnliche Art zu beherrschen; ich würde
mich vor mir selber schämen.

Hat denn nicht jede Schule und jede Sekte
etwas sehr Verächtliches? Muß jeder Stifter
und jedes Oberhaupt einem Bärenführer glei-

M 2
6.
Francesko an Adriano.

Ich bin Ihrem Rathe gefolgt und ich finde,
daß ſelbſt Unbequemlichkeiten bei weitem nicht
ſo unbequem ſind, als man ſich im Anfange
vorſtellt. Andrea hat mein veraͤndertes Betra-
gen bemerkt, aber er ſcheint keine beſondre
Theilnahme daruͤber zu aͤußern. Es iſt wirklich
gut, daß Sie mich in Ihrem neulichen Briefe
auf alles aufmerkſam gemacht haben. Warum
ſollen wir denn nicht auf unſre eigne Hand
vernuͤnftig ſeyn duͤrfen, und immer nur auf die
Beſtaͤtigung dieſes Andrea warten? Darf er
denn nur unſerm Kopfe das Privilegium er-
theilen, zu denken? — Ich koͤnnte es niemals
uͤber's Herz bringen, irgend einen Menſchen auf
eine aͤhnliche Art zu beherrſchen; ich wuͤrde
mich vor mir ſelber ſchaͤmen.

Hat denn nicht jede Schule und jede Sekte
etwas ſehr Veraͤchtliches? Muß jeder Stifter
und jedes Oberhaupt einem Baͤrenfuͤhrer glei-

M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0186" n="179"/>
        <div n="2">
          <head>6.<lb/><hi rendition="#g">Francesko</hi> an <hi rendition="#g">Adriano</hi>.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Rom</hi>.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch bin Ihrem Rathe gefolgt und ich finde,<lb/>
daß &#x017F;elb&#x017F;t Unbequemlichkeiten bei weitem nicht<lb/>
&#x017F;o unbequem &#x017F;ind, als man &#x017F;ich im Anfange<lb/>
vor&#x017F;tellt. Andrea hat mein vera&#x0364;ndertes Betra-<lb/>
gen bemerkt, aber er &#x017F;cheint keine be&#x017F;ondre<lb/>
Theilnahme daru&#x0364;ber zu a&#x0364;ußern. Es i&#x017F;t wirklich<lb/>
gut, daß Sie mich in Ihrem neulichen Briefe<lb/>
auf alles aufmerk&#x017F;am gemacht haben. Warum<lb/>
&#x017F;ollen wir denn nicht auf un&#x017F;re eigne Hand<lb/>
vernu&#x0364;nftig &#x017F;eyn du&#x0364;rfen, und immer nur auf die<lb/>
Be&#x017F;ta&#x0364;tigung die&#x017F;es Andrea warten? Darf er<lb/>
denn nur un&#x017F;erm Kopfe das Privilegium er-<lb/>
theilen, zu denken? &#x2014; Ich ko&#x0364;nnte es niemals<lb/>
u&#x0364;ber's Herz bringen, irgend einen Men&#x017F;chen auf<lb/>
eine a&#x0364;hnliche Art zu beherr&#x017F;chen; ich wu&#x0364;rde<lb/>
mich vor mir &#x017F;elber &#x017F;cha&#x0364;men.</p><lb/>
          <p>Hat denn nicht jede Schule und jede Sekte<lb/>
etwas &#x017F;ehr Vera&#x0364;chtliches? Muß jeder Stifter<lb/>
und jedes Oberhaupt einem Ba&#x0364;renfu&#x0364;hrer glei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0186] 6. Francesko an Adriano. Rom. Ich bin Ihrem Rathe gefolgt und ich finde, daß ſelbſt Unbequemlichkeiten bei weitem nicht ſo unbequem ſind, als man ſich im Anfange vorſtellt. Andrea hat mein veraͤndertes Betra- gen bemerkt, aber er ſcheint keine beſondre Theilnahme daruͤber zu aͤußern. Es iſt wirklich gut, daß Sie mich in Ihrem neulichen Briefe auf alles aufmerkſam gemacht haben. Warum ſollen wir denn nicht auf unſre eigne Hand vernuͤnftig ſeyn duͤrfen, und immer nur auf die Beſtaͤtigung dieſes Andrea warten? Darf er denn nur unſerm Kopfe das Privilegium er- theilen, zu denken? — Ich koͤnnte es niemals uͤber's Herz bringen, irgend einen Menſchen auf eine aͤhnliche Art zu beherrſchen; ich wuͤrde mich vor mir ſelber ſchaͤmen. Hat denn nicht jede Schule und jede Sekte etwas ſehr Veraͤchtliches? Muß jeder Stifter und jedes Oberhaupt einem Baͤrenfuͤhrer glei- M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/186
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/186>, abgerufen am 28.11.2024.