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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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des Denkens nicht gekannt, und auch keine
Sehnsucht nach dieser Bekanntschaft gefühlt.
Andrea lehrte mich die große Kunst, alles auf
mich selbst zu beziehn und so die ganze Natur
meinem Innern näher zu rücken. Wie hab' ich
diesen Mann damahls verehrt! mit welcher Lie-
be habe ich in der ersten Zeit an ihm gehan-
gen!

Nicht, daß ich ihn nicht noch jetzt achtete,
aber meine ehemalige Liebe hat er verlohren.
Er hat oft über mich gespottet, daß ich mit
meinem Verstande immer nur grade aus will,
und alle Gedanken rechts und links am Wege
liegen lasse, er hat mir immer eine gewisse Ein-
falt zugesprochen, und ich weiß, daß mich sein
Scherz nie erbittert hat, denn er hatte voll-
kommen Recht: es fehlt meinem Geiste jene Fä-
higkeit gänzlich, durch das ganze Gebiet ver-
wandter Gedanken zu streifen, eine Ueberzeugung
zu finden, und gegenüber den Zweifel dazu zu
suchen, alle Kombinationen zu ahnden und sie
dann mit dem Scharfsinne würklich zu entdek-
ken, mit den Analogien zu spielen, und die ent-
fernteste kühn mit der ersten zu verbinden; mein
Blick ist beschränkt, die Natur hat mir wie

des Denkens nicht gekannt, und auch keine
Sehnſucht nach dieſer Bekanntſchaft gefuͤhlt.
Andrea lehrte mich die große Kunſt, alles auf
mich ſelbſt zu beziehn und ſo die ganze Natur
meinem Innern naͤher zu ruͤcken. Wie hab' ich
dieſen Mann damahls verehrt! mit welcher Lie-
be habe ich in der erſten Zeit an ihm gehan-
gen!

Nicht, daß ich ihn nicht noch jetzt achtete,
aber meine ehemalige Liebe hat er verlohren.
Er hat oft uͤber mich geſpottet, daß ich mit
meinem Verſtande immer nur grade aus will,
und alle Gedanken rechts und links am Wege
liegen laſſe, er hat mir immer eine gewiſſe Ein-
falt zugeſprochen, und ich weiß, daß mich ſein
Scherz nie erbittert hat, denn er hatte voll-
kommen Recht: es fehlt meinem Geiſte jene Faͤ-
higkeit gaͤnzlich, durch das ganze Gebiet ver-
wandter Gedanken zu ſtreifen, eine Ueberzeugung
zu finden, und gegenuͤber den Zweifel dazu zu
ſuchen, alle Kombinationen zu ahnden und ſie
dann mit dem Scharfſinne wuͤrklich zu entdek-
ken, mit den Analogien zu ſpielen, und die ent-
fernteſte kuͤhn mit der erſten zu verbinden; mein
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[166/0173] des Denkens nicht gekannt, und auch keine Sehnſucht nach dieſer Bekanntſchaft gefuͤhlt. Andrea lehrte mich die große Kunſt, alles auf mich ſelbſt zu beziehn und ſo die ganze Natur meinem Innern naͤher zu ruͤcken. Wie hab' ich dieſen Mann damahls verehrt! mit welcher Lie- be habe ich in der erſten Zeit an ihm gehan- gen! Nicht, daß ich ihn nicht noch jetzt achtete, aber meine ehemalige Liebe hat er verlohren. Er hat oft uͤber mich geſpottet, daß ich mit meinem Verſtande immer nur grade aus will, und alle Gedanken rechts und links am Wege liegen laſſe, er hat mir immer eine gewiſſe Ein- falt zugeſprochen, und ich weiß, daß mich ſein Scherz nie erbittert hat, denn er hatte voll- kommen Recht: es fehlt meinem Geiſte jene Faͤ- higkeit gaͤnzlich, durch das ganze Gebiet ver- wandter Gedanken zu ſtreifen, eine Ueberzeugung zu finden, und gegenuͤber den Zweifel dazu zu ſuchen, alle Kombinationen zu ahnden und ſie dann mit dem Scharfſinne wuͤrklich zu entdek- ken, mit den Analogien zu ſpielen, und die ent- fernteſte kuͤhn mit der erſten zu verbinden; mein Blick iſt beſchraͤnkt, die Natur hat mir wie

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/173>, abgerufen am 23.11.2024.