Ich will England verlassen, um wieder zu mir selbst zu kommen. O, lieber Rosa, ertra- gen Sie heute noch einmal meine Stimmung, so wie Sie es schon so oft gethan haben; ich fühle mich heute so ganz anders, als sonst, so ganz von dem Muthe verlassen, der gewöhnlich aus mir spricht. Alles ist noch die Folge einer Begebenheit, die mich in Roger- place zu Bo- den geworfen hat.
Ich kann Ihnen die Empfindungen nicht be- schreiben, mit denen ich dort herumgieng; bald im Haß gegen Mortimer, der mir unauslösch- lich schien und doch bald wieder von einer tie- fen Selbstverachtung verdrängt ward, dann war mir alles gleichgültig und ich stand wie ein müßiger Zuschauer in der Welt da, der an ih- ren mannichfaltigen Rollen keinen Antheil be- kommen hatte. Wenn ich denn Amalien wie- der sah, o so ergriff mich eine so heiße, so ei- ne brünstige Sehnsucht, sie in meine Arme zu schließen, an meinen Mund, an mein schlagendes Herz zu drücken, sie nur in Einem armseligen Au- genblicke mein nennen zu können, daß mich ein Zittern und eine Fieberhitze ergriff. Es war, als gehörte es zu meinem Leben, als sey es der
Ich will England verlaſſen, um wieder zu mir ſelbſt zu kommen. O, lieber Roſa, ertra- gen Sie heute noch einmal meine Stimmung, ſo wie Sie es ſchon ſo oft gethan haben; ich fuͤhle mich heute ſo ganz anders, als ſonſt, ſo ganz von dem Muthe verlaſſen, der gewoͤhnlich aus mir ſpricht. Alles iſt noch die Folge einer Begebenheit, die mich in Roger- place zu Bo- den geworfen hat.
Ich kann Ihnen die Empfindungen nicht be- ſchreiben, mit denen ich dort herumgieng; bald im Haß gegen Mortimer, der mir unausloͤſch- lich ſchien und doch bald wieder von einer tie- fen Selbſtverachtung verdraͤngt ward, dann war mir alles gleichguͤltig und ich ſtand wie ein muͤßiger Zuſchauer in der Welt da, der an ih- ren mannichfaltigen Rollen keinen Antheil be- kommen hatte. Wenn ich denn Amalien wie- der ſah, o ſo ergriff mich eine ſo heiße, ſo ei- ne bruͤnſtige Sehnſucht, ſie in meine Arme zu ſchließen, an meinen Mund, an mein ſchlagendes Herz zu druͤcken, ſie nur in Einem armſeligen Au- genblicke mein nennen zu koͤnnen, daß mich ein Zittern und eine Fieberhitze ergriff. Es war, als gehoͤrte es zu meinem Leben, als ſey es der
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Ich will England verlaſſen, um wieder zu
mir ſelbſt zu kommen. O, lieber Roſa, ertra-
gen Sie heute noch einmal meine Stimmung,
ſo wie Sie es ſchon ſo oft gethan haben; ich
fuͤhle mich heute ſo ganz anders, als ſonſt, ſo
ganz von dem Muthe verlaſſen, der gewoͤhnlich
aus mir ſpricht. Alles iſt noch die Folge einer
Begebenheit, die mich in Roger- place zu Bo-
den geworfen hat.
Ich kann Ihnen die Empfindungen nicht be-
ſchreiben, mit denen ich dort herumgieng; bald
im Haß gegen Mortimer, der mir unausloͤſch-
lich ſchien und doch bald wieder von einer tie-
fen Selbſtverachtung verdraͤngt ward, dann war
mir alles gleichguͤltig und ich ſtand wie ein
muͤßiger Zuſchauer in der Welt da, der an ih-
ren mannichfaltigen Rollen keinen Antheil be-
kommen hatte. Wenn ich denn Amalien wie-
der ſah, o ſo ergriff mich eine ſo heiße, ſo ei-
ne bruͤnſtige Sehnſucht, ſie in meine Arme zu
ſchließen, an meinen Mund, an mein ſchlagendes
Herz zu druͤcken, ſie nur in Einem armſeligen Au-
genblicke mein nennen zu koͤnnen, daß mich ein
Zittern und eine Fieberhitze ergriff. Es war,
als gehoͤrte es zu meinem Leben, als ſey es der
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/129>, abgerufen am 27.11.2024.
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