suchte Hülfe bey den Menschen, weil sie diese nicht kannte, und diese stießen sie verächtlich von sich, wie sie es auch in [...]ihrer Stelle ge- than haben würde; zur drückendsten Armuth er- niedrigt, suchte sie endlich Dienste, und Amalie, hier in Roger-place, nahm sich ihrer an. Und hier muß ich sie nun treffen; meine beyden Ge- liebten in einem seltsamen Kontraste neben ein- ander.
Ich habe ihr das strengste Stillschweigen ge- lobt, so wie sie mir: Mortimer, der sie einst so schön fand, weiß es nun nicht, daß sie in seinem Hause wohnt. Sie liebt mich noch, wie es scheint; -- o Rosa, Sie sollten sie jetzt sehn!
Es ist schauderhaft, wenn ich überlege, daß dies Ungeheuer doch schon damals verlarvt in dem schönen Weibe lag, das ich umarmte, -- bey jedem Weibe und Mädchen fällt mir jetzt der Gedanke ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge- fallen, mit rothen Augen und auf einer Krücke vorüber hinkt, war auch einmal jung und hatte ihre Anbeter, sie dachte damals nicht daran, daß sie sich ändern könne; ihrem begeisterten Liebhaber fiel es nicht ein, über sich selbst zu lachen, denn er kannte die Gestalt nicht, gegen
ſuchte Huͤlfe bey den Menſchen, weil ſie dieſe nicht kannte, und dieſe ſtießen ſie veraͤchtlich von ſich, wie ſie es auch in […]ihrer Stelle ge- than haben wuͤrde; zur druͤckendſten Armuth er- niedrigt, ſuchte ſie endlich Dienſte, und Amalie, hier in Roger-place, nahm ſich ihrer an. Und hier muß ich ſie nun treffen; meine beyden Ge- liebten in einem ſeltſamen Kontraſte neben ein- ander.
Ich habe ihr das ſtrengſte Stillſchweigen ge- lobt, ſo wie ſie mir: Mortimer, der ſie einſt ſo ſchoͤn fand, weiß es nun nicht, daß ſie in ſeinem Hauſe wohnt. Sie liebt mich noch, wie es ſcheint; — o Roſa, Sie ſollten ſie jetzt ſehn!
Es iſt ſchauderhaft, wenn ich uͤberlege, daß dies Ungeheuer doch ſchon damals verlarvt in dem ſchoͤnen Weibe lag, das ich umarmte, — bey jedem Weibe und Maͤdchen faͤllt mir jetzt der Gedanke ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge- fallen, mit rothen Augen und auf einer Kruͤcke voruͤber hinkt, war auch einmal jung und hatte ihre Anbeter, ſie dachte damals nicht daran, daß ſie ſich aͤndern koͤnne; ihrem begeiſterten Liebhaber fiel es nicht ein, uͤber ſich ſelbſt zu lachen, denn er kannte die Geſtalt nicht, gegen
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ſuchte Huͤlfe bey den Menſchen, weil ſie dieſe
nicht kannte, und dieſe ſtießen ſie veraͤchtlich
von ſich, wie ſie es auch in ihrer Stelle ge-
than haben wuͤrde; zur druͤckendſten Armuth er-
niedrigt, ſuchte ſie endlich Dienſte, und Amalie,
hier in Roger-place, nahm ſich ihrer an. Und
hier muß ich ſie nun treffen; meine beyden Ge-
liebten in einem ſeltſamen Kontraſte neben ein-
ander.
Ich habe ihr das ſtrengſte Stillſchweigen ge-
lobt, ſo wie ſie mir: Mortimer, der ſie einſt
ſo ſchoͤn fand, weiß es nun nicht, daß ſie in
ſeinem Hauſe wohnt. Sie liebt mich noch, wie
es ſcheint; — o Roſa, Sie ſollten ſie jetzt ſehn!
Es iſt ſchauderhaft, wenn ich uͤberlege, daß
dies Ungeheuer doch ſchon damals verlarvt in dem
ſchoͤnen Weibe lag, das ich umarmte, — bey jedem
Weibe und Maͤdchen faͤllt mir jetzt der Gedanke
ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge-
fallen, mit rothen Augen und auf einer Kruͤcke
voruͤber hinkt, war auch einmal jung und hatte
ihre Anbeter, ſie dachte damals nicht daran,
daß ſie ſich aͤndern koͤnne; ihrem begeiſterten
Liebhaber fiel es nicht ein, uͤber ſich ſelbſt zu
lachen, denn er kannte die Geſtalt nicht, gegen
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/126>, abgerufen am 27.11.2024.
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