Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

suchte Hülfe bey den Menschen, weil sie diese
nicht kannte, und diese stießen sie verächtlich
von sich, wie sie es auch in [...]ihrer Stelle ge-
than haben würde; zur drückendsten Armuth er-
niedrigt, suchte sie endlich Dienste, und Amalie,
hier in Roger-place, nahm sich ihrer an. Und
hier muß ich sie nun treffen; meine beyden Ge-
liebten in einem seltsamen Kontraste neben ein-
ander.

Ich habe ihr das strengste Stillschweigen ge-
lobt, so wie sie mir: Mortimer, der sie einst
so schön fand, weiß es nun nicht, daß sie in
seinem Hause wohnt. Sie liebt mich noch, wie
es scheint; -- o Rosa, Sie sollten sie jetzt sehn!

Es ist schauderhaft, wenn ich überlege, daß
dies Ungeheuer doch schon damals verlarvt in dem
schönen Weibe lag, das ich umarmte, -- bey jedem
Weibe und Mädchen fällt mir jetzt der Gedanke
ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge-
fallen, mit rothen Augen und auf einer Krücke
vorüber hinkt, war auch einmal jung und hatte
ihre Anbeter, sie dachte damals nicht daran,
daß sie sich ändern könne; ihrem begeisterten
Liebhaber fiel es nicht ein, über sich selbst zu
lachen, denn er kannte die Gestalt nicht, gegen

ſuchte Huͤlfe bey den Menſchen, weil ſie dieſe
nicht kannte, und dieſe ſtießen ſie veraͤchtlich
von ſich, wie ſie es auch in […]ihrer Stelle ge-
than haben wuͤrde; zur druͤckendſten Armuth er-
niedrigt, ſuchte ſie endlich Dienſte, und Amalie,
hier in Roger-place, nahm ſich ihrer an. Und
hier muß ich ſie nun treffen; meine beyden Ge-
liebten in einem ſeltſamen Kontraſte neben ein-
ander.

Ich habe ihr das ſtrengſte Stillſchweigen ge-
lobt, ſo wie ſie mir: Mortimer, der ſie einſt
ſo ſchoͤn fand, weiß es nun nicht, daß ſie in
ſeinem Hauſe wohnt. Sie liebt mich noch, wie
es ſcheint; — o Roſa, Sie ſollten ſie jetzt ſehn!

Es iſt ſchauderhaft, wenn ich uͤberlege, daß
dies Ungeheuer doch ſchon damals verlarvt in dem
ſchoͤnen Weibe lag, das ich umarmte, — bey jedem
Weibe und Maͤdchen faͤllt mir jetzt der Gedanke
ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge-
fallen, mit rothen Augen und auf einer Kruͤcke
voruͤber hinkt, war auch einmal jung und hatte
ihre Anbeter, ſie dachte damals nicht daran,
daß ſie ſich aͤndern koͤnne; ihrem begeiſterten
Liebhaber fiel es nicht ein, uͤber ſich ſelbſt zu
lachen, denn er kannte die Geſtalt nicht, gegen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="119"/>
&#x017F;uchte Hu&#x0364;lfe bey den Men&#x017F;chen, weil &#x017F;ie die&#x017F;e<lb/>
nicht kannte, und die&#x017F;e &#x017F;tießen &#x017F;ie vera&#x0364;chtlich<lb/>
von &#x017F;ich, wie &#x017F;ie es auch in <choice><sic>in </sic><corr/></choice>ihrer Stelle ge-<lb/>
than <choice><sic>haden</sic><corr>haben</corr></choice> wu&#x0364;rde; zur dru&#x0364;ckend&#x017F;ten Armuth er-<lb/>
niedrigt, &#x017F;uchte &#x017F;ie endlich Dien&#x017F;te, und Amalie,<lb/>
hier in Roger-place, nahm &#x017F;ich ihrer an. Und<lb/>
hier muß ich &#x017F;ie nun treffen; meine beyden Ge-<lb/>
liebten in einem &#x017F;elt&#x017F;amen Kontra&#x017F;te neben ein-<lb/>
ander.</p><lb/>
          <p>Ich habe ihr das &#x017F;treng&#x017F;te Still&#x017F;chweigen ge-<lb/>
lobt, &#x017F;o wie &#x017F;ie mir: Mortimer, der &#x017F;ie ein&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n fand, weiß es nun nicht, daß &#x017F;ie in<lb/>
&#x017F;einem Hau&#x017F;e wohnt. Sie liebt mich noch, wie<lb/>
es &#x017F;cheint; &#x2014; o Ro&#x017F;a, Sie &#x017F;ollten &#x017F;ie jetzt &#x017F;ehn!</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;chauderhaft, wenn ich u&#x0364;berlege, daß<lb/>
dies Ungeheuer doch &#x017F;chon damals verlarvt in dem<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Weibe lag, das ich umarmte, &#x2014; bey jedem<lb/>
Weibe und Ma&#x0364;dchen fa&#x0364;llt mir jetzt der Gedanke<lb/>
ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge-<lb/>
fallen, mit rothen Augen und auf einer Kru&#x0364;cke<lb/>
voru&#x0364;ber hinkt, war auch einmal jung und hatte<lb/>
ihre Anbeter, &#x017F;ie dachte damals nicht daran,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich a&#x0364;ndern ko&#x0364;nne; ihrem begei&#x017F;terten<lb/>
Liebhaber fiel es nicht ein, u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
lachen, denn er kannte die Ge&#x017F;talt nicht, gegen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0126] ſuchte Huͤlfe bey den Menſchen, weil ſie dieſe nicht kannte, und dieſe ſtießen ſie veraͤchtlich von ſich, wie ſie es auch in ihrer Stelle ge- than haben wuͤrde; zur druͤckendſten Armuth er- niedrigt, ſuchte ſie endlich Dienſte, und Amalie, hier in Roger-place, nahm ſich ihrer an. Und hier muß ich ſie nun treffen; meine beyden Ge- liebten in einem ſeltſamen Kontraſte neben ein- ander. Ich habe ihr das ſtrengſte Stillſchweigen ge- lobt, ſo wie ſie mir: Mortimer, der ſie einſt ſo ſchoͤn fand, weiß es nun nicht, daß ſie in ſeinem Hauſe wohnt. Sie liebt mich noch, wie es ſcheint; — o Roſa, Sie ſollten ſie jetzt ſehn! Es iſt ſchauderhaft, wenn ich uͤberlege, daß dies Ungeheuer doch ſchon damals verlarvt in dem ſchoͤnen Weibe lag, das ich umarmte, — bey jedem Weibe und Maͤdchen faͤllt mir jetzt der Gedanke ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abge- fallen, mit rothen Augen und auf einer Kruͤcke voruͤber hinkt, war auch einmal jung und hatte ihre Anbeter, ſie dachte damals nicht daran, daß ſie ſich aͤndern koͤnne; ihrem begeiſterten Liebhaber fiel es nicht ein, uͤber ſich ſelbſt zu lachen, denn er kannte die Geſtalt nicht, gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/126
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/126>, abgerufen am 27.11.2024.