denn das Gefühl verläßt sie nie, daß die Män- ner ein fremdartiges Thiergeschlecht sind, und diese verletzen durch ihre Unbeholfenheit ihren feinern Sinn auch unaufhörlich. Wer bis in sein zwanzigstes Jahr nur unter Weibern lebte, müßte nachher alle Männer betrügen können.
Wie komme ich aber zu dieser weitläuftigen Charakteristik? -- Nichts kam mir in den Ge- sellschaften so abgeschmackt vor, als das Drän- gen der jungen und alten Männer, um bey Ti- sche neben irgend einem weiblichen Geschöpfe zu sitzen, wie sie sich dann glücklich priesen und affektirten, als wenn dies ihnen mehr, als alles gälte. Wenn man dies Geschlecht erst gekannt und genossen hat, so kann man durch diese Zie- rerey ganz schwermüthig werden. -- Aber unser Leben läuft in einer ewigen Affektation fort, und wer sie nicht mitmacht, den nennen die Uebrigen einen affektirten Narren.
Manche unter den vorzüglichsten Schönhei- ten hätten mich vielleicht gar geheyrathet, wenn ich hätte darauf schwören wollen, daß ich ent- weder bald sterben oder Zeitlebens so närrisch bleiben würde. Keins von beyden war mein
denn das Gefuͤhl verlaͤßt ſie nie, daß die Maͤn- ner ein fremdartiges Thiergeſchlecht ſind, und dieſe verletzen durch ihre Unbeholfenheit ihren feinern Sinn auch unaufhoͤrlich. Wer bis in ſein zwanzigſtes Jahr nur unter Weibern lebte, muͤßte nachher alle Maͤnner betruͤgen koͤnnen.
Wie komme ich aber zu dieſer weitlaͤuftigen Charakteriſtik? — Nichts kam mir in den Ge- ſellſchaften ſo abgeſchmackt vor, als das Draͤn- gen der jungen und alten Maͤnner, um bey Ti- ſche neben irgend einem weiblichen Geſchoͤpfe zu ſitzen, wie ſie ſich dann gluͤcklich prieſen und affektirten, als wenn dies ihnen mehr, als alles gaͤlte. Wenn man dies Geſchlecht erſt gekannt und genoſſen hat, ſo kann man durch dieſe Zie- rerey ganz ſchwermuͤthig werden. — Aber unſer Leben laͤuft in einer ewigen Affektation fort, und wer ſie nicht mitmacht, den nennen die Uebrigen einen affektirten Narren.
Manche unter den vorzuͤglichſten Schoͤnhei- ten haͤtten mich vielleicht gar geheyrathet, wenn ich haͤtte darauf ſchwoͤren wollen, daß ich ent- weder bald ſterben oder Zeitlebens ſo naͤrriſch bleiben wuͤrde. Keins von beyden war mein
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denn das Gefuͤhl verlaͤßt ſie nie, daß die Maͤn-
ner ein fremdartiges Thiergeſchlecht ſind, und
dieſe verletzen durch ihre Unbeholfenheit ihren
feinern Sinn auch unaufhoͤrlich. Wer bis in
ſein zwanzigſtes Jahr nur unter Weibern lebte,
muͤßte nachher alle Maͤnner betruͤgen koͤnnen.
Wie komme ich aber zu dieſer weitlaͤuftigen
Charakteriſtik? — Nichts kam mir in den Ge-
ſellſchaften ſo abgeſchmackt vor, als das Draͤn-
gen der jungen und alten Maͤnner, um bey Ti-
ſche neben irgend einem weiblichen Geſchoͤpfe zu
ſitzen, wie ſie ſich dann gluͤcklich prieſen und
affektirten, als wenn dies ihnen mehr, als alles
gaͤlte. Wenn man dies Geſchlecht erſt gekannt
und genoſſen hat, ſo kann man durch dieſe Zie-
rerey ganz ſchwermuͤthig werden. — Aber unſer
Leben laͤuft in einer ewigen Affektation fort,
und wer ſie nicht mitmacht, den nennen die
Uebrigen einen affektirten Narren.
Manche unter den vorzuͤglichſten Schoͤnhei-
ten haͤtten mich vielleicht gar geheyrathet, wenn
ich haͤtte darauf ſchwoͤren wollen, daß ich ent-
weder bald ſterben oder Zeitlebens ſo naͤrriſch
bleiben wuͤrde. Keins von beyden war mein
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/121>, abgerufen am 23.11.2024.
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